Keine Gefangenen nehmen

INDIE-POP Zärtliches Understatement, glamouröses Leiden: Das französische Quartett „Phoenix“ sucht auf seinem Album „Wolfgang Amadeus Phoenix“ die totale Kompression

Phoenix zerstreuen jeden Zweifel in überwältigend fettem Wohlklang

VON MICHAEL SAAGER

Manchmal sollte man nicht enttäuscht sein, wenn man auf der Suche nach interessanten Antworten nicht mehr findet als oberflächliche Begründungen. Wenn man sich also fragt, weshalb die Franzosen ihr jüngstes Album ausgerechnet „Wolfgang Amadeus Phoenix“ genannt haben, wieso das erste Stück „Lisztomanie“ heißt oder warum – zum Teufel – bonbonfarbene Bomben das Cover zieren, sind die Antworten lediglich dem profanen Unterhaltungsauftrag von Pop spielerisch abgetrotzte. Klingt toll, macht was her, sieht hübsch aus. Mehr ist nicht gemeint.

Die etwas trostlose semantische Beinahe-Leere der Worte, Farben und Formen bedeutet andererseits, jedenfalls für den geneigten Phoenix-Hörer, das reine Glück, formulierbar als: „Schwein gehabt!“ – denn vom Krieg etwa sollen doch lieber andere singen, „U2“ zum Beispiel. Und die meisten Versuche, populäre Klassik mit Pop zu vermählen, fühlten sich an, als käme das Paar geradewegs aus einer besonders geschmacklosen Hölle getorkelt.

Es passt zum Titel und zum Cover, dass man Thomas Mars’ Gesang auf der neuen Platte beim besten Willen nicht verstehen kann. So schnell und undeutlich singt er hier. Mindestens einen Vorteil hat auch das, zumindest für melancholische Zeitgenossen. Sie können diese helle, filigrane Gesangsstimme, die mit einem Höchstmaß an zärtlichem Understatement so glamourös an der Welt zu leiden scheint wie keine zweite im Pop der Gegenwart, vollständig integrieren in ihr emotionales Koordinatensystem. Das Wunder der reinen Projektion ist schließlich eines der großen Heilsversprechen von Pop. Was immer Mars für Worte formen mag, so gesehen bleibt ihre Wahrheit besser im Dunkeln.

Auf Sound-Ebene haben die vier Männer aus Versailles das Maximale angesteuert. Man mag vielleicht an die letzte Platte von „TV On The Radio“ denken. Wie sie ist „Wolfgang Amadeus Phoenix“ ein Versuch der totalen Kompression und somit Ausdruck einer zeitgemäßen Produktionsweise, die auf dem Weg in die Disco keine Gefangenen macht, weil sie jeden Zweifel in homogener Verdichtung, in überwältigend fettem Wohlklang zerstreut. Dass bei Phoenix’ jüngstem Album der French-Filter-House-Protagonist Philippe Zdar („Cassius“) seine Hände im Spiel hatte, glaubt man sofort. Eingetaucht in einen einzigen, silbrig schimmernden dynamischen Spacesound verlieren die Songs allerdings leicht ihre Alleinstellungsmerkmale, büßen Breaks ihre Besonderheiten ein, und die Gitarren-Akkorde beginnen einander zu gleichen. Man hat Schwierigkeiten, die Hymnen, die ja definitiv da sind, voneinander zu unterscheiden.

Dennoch: Der leidenschaftliche Schwung dieses Albums, das vorwiegend in geraden Beats getaktet wurde, ist ganz enorm. Und je öfter man es hört, desto glücklicher wird man davon.

■ Do, 12. 11., 20 Uhr, Docks, Spielbudenplatz 19