„Wir haben die Gefährdung nicht erkannt“

ROBERT ENKE Auf einer Pressekonferenz äußert sich Teresa Enke zum Suizid ihres Mannes. Aus Angst um seine Karriere und seine Adoptivtochter habe er verschwiegen, dass er an schweren Depressionen leide

Dieter Hecking (ehemaliger Trainer Enkes bei Hannover 96): „Viele Leute haben vieles Richtige gesagt über ihn. Es ist einfach eine Tragik um Robert Enke. Ein toller Sportsmann, ein toller Mensch, und ich bin da sehr betroffen drüber. Man konnte mit ihm über alles reden, ob es Probleme im Beruf waren, ob es private Sachen waren. Man hat immer ein offenes Ohr gefunden. Er war jedem gegenüber immer gleich, egal ob’s der einfache Arbeiter war oder jemand anderes aus der Politik oder aus dem Sport. Er hat sich jedem gleich geöffnet. Das hat ihn auch so beliebt gemacht.“

Teresa Enke (Robert Enkes Ehefrau): „Wenn er akut depressiv war, dann war das schon eine schwere Zeit. Das ist klar, weil wenn ihm auch der Antrieb gefehlt hat und die Hoffnung auf baldige Besserung und weil natürlich auch die Schwere darin bestand, das Ganze nicht in die Öffentlichkeit hinauszutragen. Weil es sein ausdrücklicher Wunsch war, aus Angst, seinen Sport, unser Privatleben und alles zu verlieren. Was natürlich im Nachhinein Wahnsinn ist. Es kommt ja jetzt auch raus. […] Ich wollte ihm einfach helfen, das durchzustehen, und hatte auch immer gesagt, wir können auch andere Hilfe in Anspruch nehmen als die Klinik. Aber er wollte es nicht, aus Angst, dass es rauskommt, und auch aus Angst, dass man Leila [Enkes Adoptivtochter – d. Red.] verliert. […] Es ist natürlich die Angst, was denken die Leute, wenn man ein Kind hat und der Papa ist depressiv. Aber ich hab ihm damals schon immer gesagt, das ist kein Problem, […] dass es zu behandeln ist und der Robert sich liebevoll um Leila gekümmert hat, bis zum Schluss. […] Der Fußball war alles, es war sein Leben, sein Lebenselixier, es war alles. Es hat ihm Halt und Kraft gegeben. Das Training war für ihn der Halt.“

AUS HANNOVER ROGER REPPLINGER

Vor dem Stadion liegen Rosen. Gelbe, weiße, rote. Alte Männer weinen. Schlangen vor den Kondolenzbüchern und rote Grableuchten, die eine „1“ bilden. Privatfotos, auf einigen lacht Robert Enke, Trikots und Torwarthandschuhe. Mädchen halten sich die Hände vors Gesicht, und was drunter hervorrollt, sind Tränen. Wer sich unterhält, tut es leise. Muss man aber nicht, jeder weiß, was der andere fühlt. Gladbach-Schals, Bremen- und HSV-Schal, ein Blatt, auf dem steht: „Mach’s gut, Robert“. Auf einem anderen steht: „Finde deinen Frieden“.

Vor dem Haupteingang des Niedersachsenstadions stehen Martin Kind, der Präsident von Hannover 96, und Jörg Schmadtke, der Sportdirektor, und versuchen das Unerklärliche zu erklären. Drinnen sitzt, vor Kameras und Mikrofonen, bleich, weinend und mit bebender Stimme, Robert Enkes Frau Teresa, und neben ihr, Dr. Valentin Markser, ein Exhandballer und der Arzt, bei dem Enke wegen seiner Depressionen in Behandlung war. Ausgebrochen war die Erkrankung 2003, als Enke beim FC Barcelona unter Vertrag stand, und unter Trainer Louis van Gaal nicht zum Einsatz kam. Er wurde zu Fenerbahce Istanbul ausgeliehen und hatte bei den Fans einen schweren Stand. Er litt unter Versagensängsten. Damals war er über Monate hinweg in täglicher Behandlung, 2004, so Markser, „war er dann relativ stabil“.

Die Diagnose, dass seine Tochter Lara einen schweren Herzfehler hat, wurde in Barcelona gestellt. Das traf die Eheleute Enke schwer. Der Bahnübergang, an dem Enke am späten Dienstagnachmittag seinem Leben im Alter von 32 Jahren ein Ende setzte, liegt in der Nähe von Laras Grab und nur 2,5 Kilometer von dem Bauernhaus in Empede entfernt, in dem er mit seiner Frau Teresa, 33, seiner acht Monate alten Adotivtochter Leila, acht Hunden, zwei Katzen und dem Pferd Dickens lebte.

„Es ist ihm gelungen, die Suizidgedanken vor uns geheimzuhalten“, sagt der Arzt. Latent habe es diese Gedanken immer mal wieder gegeben, manifest seien sie nie geworden. „Wir haben die Gefährdung nicht erkannt“, sagt Markser. Die neunwöchige Pause im September und Oktober dieses Jahres, die Enke um einige Länder- und Bundesligspiele brachte, hatte nicht nur etwas einem Magen-, Darmviren zu tun, sondern auch mit der Depression, die nun wieder ausgebrochen war.

„Er wollte nicht, dass die Krankheit in die Öffentlichkeit kommt“, sagt Teresa Enke, „er hatte Angst um seine Karriere als Fußballer und darum, dass uns Leila weggenommen wird. Was denken die Leute, wenn die erfahren, man hat ein Kind adoptiert und der Papa ist depressiv, das fragte er sich“. Der Fußball, sagt Teresa Enke, „hat ihm Halt und Kraft gegeben, es war sehr wichtig für ihn, ein Teil der Mannschaft zu sein, mit den Jungs Spaß zu haben. Das Training war der Halt.“ Sie erklärte, sie habe immer versucht, ihrem Mann zu zeigen, dass der Fußball nicht alles sei. „Das Wichtige war die Perspektive, dass es für alles eine Lösung gibt, wenn man zusammenhält. Ich war immer dabei. Ich bin mit zum Training gefahren die letzten Male und habe ihn immer begleitet.

„Der Fußball hat ihm Halt und Kraft gegeben“

TERESA ENKE

Enkes Erkrankung verlief in Schüben mit längeren symptomfreien Phasen. Wenn ihr Mann einen Schub hatte, war das stets „eine schwere Zeit für die Familie“. Dann hat „ihm der Antrieb gefehlt, dann hatte er keine Hoffnung auf Besserung“. Nach Barcelona und Istanbul hatten wir „schon einmal ein schwere Zeit durchgestanden, und wir hatten die Hoffnung, dass wir das auch diesmal schaffen“. Der Tod der Tochter im September 2006 in Hannover „hat uns stärker zusammengeschweißt“. Sie hatte die Hoffnung, „dass durch Liebe alles geht. Das ist nicht so.“

Gestern Abend um 18 Uhr hielt Landesbischöfin Margot Käßmann in der Marktkirche Hannovers eine ökumenische Trauerandacht. Danach gab es einen Trauerzug der 96-Fans durch die Stadt.

Martin Kind erklärte, dass die Rückennummer Enkes nicht mehr vergeben wird. Hannover 96 hat keine „1“ mehr.