„Berlin ist langsam“

Wie in den Achtzigern ist auch heute der Markt allein auf Nachwuchs gierig: Der Galerist Max Hetzler über das ökonomische Risiko von Messen und den Hauptstadtboom von Galerien und Künstlern

INTERVIEW BRIGITTE WERNEBURG

taz: Herr Hetzler, Sie sind beim 10. Art Forum nicht dabei, was die Messeleitung sicher bedauert. Für uns hat das aber den Vorteil, dass Sie unbelastet von einer aktuellen Verpflichtung über die Bedeutung von Messen im gegenwärtigen Kunstgeschehen sprechen können. Wie verhalten sie sich zur alltäglichen Galeriearbeit?

Max Hetzler: In der Galerie leisten Sie eine andere Arbeit als auf Messen. Galeriearbeit ist definiert durch Kontinuität und Inhalte, Respekt vor Kunst und Künstlern. Messe heißt in erster Linie Kommunikation und Geschäfte. Sie können das Sahnehäubchen einer guten Galeriearbeit sein.

Das Sahnehäubchen auf den opulenten Torten, die man dort den Besuchern präsentiert?

Auf einer klassischen Messe können Sie nur mit „messetauglichen Kunstwerken“ auftreten. Der Platz ist limitiert – Transporte, Versicherungen, Standmieten, das summiert sich und ist in jeder Hinsicht ein erheblicher finanzieller Aufwand.

Der sich aber lohnt?

Für jeden ist wichtig, dass Galerie und Künstler international wahrgenommen werden. Wenn man, wie manche Kollegen, bis zu fünf Messen im Jahr bestreitet, ist das ein enormes ökonomisches Risiko. Sie setzen sich einem hohen Druck aus, ihre Galerie und Künstler bestmöglich zu zeigen. Also gehen Sie mit Ihrer Topware auf die Messen und freuen sich, wenn Sie die Kosten wieder hereingeholt haben. Händlerisch gesehen ist dies barer Unsinn. Oft haben Sie ihre besten Arbeiten verkauft und stehen mit leeren Händen da.

Sie und einige Ihrer Kollegen haben Anfang Mai in Berlin ein Wochenende organisiert, das die Galeriearbeit in den Mittelpunkt stellte. Ist die Bedeutung der Messen so groß, dass solch ein Schritt notwendig ist?

Der Kalender, den die internationale Kunstwelt wahrnimmt, ist durch Messen, Auktionen und Großausstellungen, Biennalen oder die documenta bestimmt. Dagegen müssen sich die Galeristen behaupten und das Interesse beim Kunstpublikum für die Galeriearbeit schärfen.

Ist das im Mai gelungen?

Das ist in hohem Maße gelungen. Viele sind gekommen und haben sich sehr sorgfältig umgeschaut. Man hatte Zeit zu reden, was auf einer Messe fast unmöglich ist.

Wer war Ihr Publikum?

Die großen, finanzkräftigen Sammler streiten sich um wenige künstlerische Positionen. Jeder weiß, hinter welchen Künstlern sie her sind. Sie sind durch ihre Kuratoren und Berater gleichzeitig überall präsent und daher auch ständig zu erreichen. Wir wollten auch Sammler ansprechen, die nicht die Möglichkeit haben, immer überall dabei zu sein. Wir planen schon fürs nächste Jahr – der Markt für zeitgenössische Kunst hat so viele potenzielle Käufer wie noch nie.

Und Berlin hat so viele Galerien wie noch nie.

Es gibt in Europa keine Stadt, die eine solche Dichte an neuen Galerien in einer Generation hervorgebracht hat. Anfang der Neunzigerjahre haben sich viele Galeristen für Berlin entschieden. Esther Schipper und Bruno Brunnet kamen aus Köln, Tim Neuger aus Los Angeles hat hier mit seinem Kölner Partner Burkhard Riemschneider eine Galerie eröffnet. Inzwischen etabliert sich eine zweite Generation, die Ende der Neunziger begonnen hat. Das spricht für den Standort, für die Stabilität der Galerienszene hier. Eine dritte Generation steht in den Startlöchern.

Wie kommt das? Braucht Kunst nicht ein ökonomisch fluktuierendes Umfeld?

Paradoxerweise hat sich Berlin als Galerienstadt etabliert, weil es eine arme und langsame Stadt ist. Alle Künstler und Galeristen können hier gut arbeiten. Räume sind günstig zu haben. Hier wird Neues gedacht und produziert.

Was fehlt dann hier?

Was fehlt, ist der internationale Handel. Der Weg geht ja nicht nur vom Künstler zur Galerie und dann zum Sammler für alle Ewigkeit. Dieses ganze Verständnis für den Markt fehlt uns hier immer noch, und dadurch verlieren wir am Ende Geld.

Fehlt nur das Verständnis für den Markt?

Nun ja, die Museen müssten stärker im Fokus stehen, sie sollten die Maßstäbe setzen. Das gilt im Besonderen für Berlin. Privatinitiativen wie Marx und Flick können und dürfen Museumsarbeit nicht ersetzen. Wenn die Museen sich nicht kunstwissenschaftlich profilieren, ist die Folge Orientierungslosigkeit. Es entstehen Parallelinstitutionen, in die Geld fließt, das den öffentlichen Museen schlussendlich fehlt.

Hat es die Kunst dank solcher Parallelinstitutionen wie der ganzen Firmensammlungen dann womöglich zu leicht?

Wir brauchen die Verdichtung von Qualität an der Spitze. Das ist für alle – Künstler, Sammler, Galerien, Museen – wichtig. Inzwischen muss man auf Messen immer jüngere Kunst zeigen. Die Künstler, die schon auf ein Werk von 25 Jahren zurückblicken, sind oft schwerer zu vermitteln als Künstler, die erst fünf Jahre arbeiten und noch kein überprüfbares Werk haben, aber ein Label vor sich hertragen. Man muss sehr schnell mit einem fertigen Produkt kommen und gibt sich kaum mehr Zeit, langfristig zu denken.

Warum sind Stars wichtig?

In den frühen Achtzigerjahren wurden Maler wie Rainer Fetting oder Salomé über Nacht zu vermeintlichen Weltstars, während Maler wie Gerhard Richter oder Sigmar Polke typische midcareer-Künstler waren: anerkannt, aber keineswegs Sterne. Als die „Neuen Wilden“ zwei Jahre später verglühten, begann die große Zeit von Richter und Polke. Salomé und Fetting waren für 15 Minuten berühmt.