Das Kraut, der Rock

ERFOLGSGESCHICHTE Wenigstens an Ruhm und Ehre wird beim längst legendären Thema Krautrock nicht gespart

VON THOMAS MAUCH

Was eigentlich ist Erfolg?

Na, zum Beispiel das.

Vor wenigen Tagen wurde bekannt gegeben, dass Kraftwerk erstmals seit mehr als 20 Jahren in ihrer Heimatstadt Düsseldorf auftreten werden. Dabei will die Band in einer Retrospektive an acht Konzertabenden acht ihrer Alben präsentieren, chronologisch geordnet, von „Autobahn“ aus dem Jahr 1974 bis zu „Tour de France“. All das passiert im Januar des nächsten Jahres mit den höheren Weihen der Kunst in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Vergangenen Samstag gingen die Tickets in den Verkauf. Innerhalb weniger Minuten waren alle Konzerte ausverkauft.

Was ja vielleicht auch nicht so verwunderlich ist bei einer Band, für die derart viele Ehrenkränze geflochten wurden. Als die Geburtshelfer des Elektropop werden die Düsseldorfer betrachtet, mit musikalischen Pionierarbeiten, auf die sich dann Techno-Musiker genauso beriefen wie HipHop-Aktivisten. Also mindestens die „Beatles der elektronischen Tanzmusik“, wie die New York Times Kraftwerk mal bezeichnet hat. Was alles nun wirklich kein Kleingeld ist: Ruhm und Ehre, in allen einschlägigen Lexika niedergeschriebene Verdienstorden, und manchmal schreibt man noch dazu, dass man es bei Kraftwerk mit einer Krautrock-Band zu tun habe.

Dazu mal eine Begriffsklärung. Krautrock „ist der Ausdruck, mit dem die Briten in liebenswürdiger Überheblichkeit die deutsche, gelegentlich auch die holländische und französische Rockmusik bezeichnen. Da englische Hauskost nach übereinstimmender Erfahrung nicht besser schmeckt als Sauerkraut, ist nicht einzusehen, warum gegen den Begriff polemisiert werden soll.“ So sah das Tibor Kneif in seinem „Sachlexikon Rockmusik“ aus dem Jahr 1978. Und eine weitere: „Krautrock ist unhip und gar nicht sexy, meint Brille, Konzepte, Papiere, Klänge, Kontexte, ein gewisses Maß an Erfahrung mit Musik.“ Das schrieb Martin Büsser in einer 1996 erschienenen Testcard-Ausgabe zum Thema „Wo ist Kraut, Mama?“

Was ja nur wieder zeigt, dass sich mit der Zeit so manches ändert. Denn gegen den Begriff Krautrock will heute eigentlich keiner mehr polemisieren. Ganz im Gegenteil. Weil Krautrock hip ist, als Begriff allemal. Mittlerweile wird er als Genrebezeichnung verwendet für allerlei irgendwie verschrobene Musiken, die man mit sonstigen Etiketten halt nicht so recht einzufangen versteht. Musiken, die überhaupt nicht mehr aus Deutschland kommen müssen. Und die eben doch, wenigstens in einem fernen Echo, ein bisschen nach dem Kanon klingen, der sich für die historischen Krautrockbands längst herausgebildet hat. So ein Goethe-Schiller-Lessing der deutschen Rockmusik, das sich mit den immergleichen Bandnamen buchstabiert, auch hier wieder einmal: also Can, Cluster, Faust, Neu!. Ach ja: und Kraftwerk.

So oft wurde dieses Mantra mit den Perlen dieser unglaublich seltsamen Musik, die da Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre in Westdeutschland irgendwie herbei improvisiert wurde, bereits heruntergebetet, dass man eigentlich doch davon ausgehen müsste, dass in jedem halbwegs aufgeklärten Kulturhaushalt neben dem Goethe auch die Platten der besagten Bands herumstehen müssten. Wenigstens eine kleine Auswahl davon. Aber sie tun es eher nicht.

Was den Erfolg (Kraftwerk mal ausgenommen) dann doch herunterrechnet auf ein emsiges Schulterklopfen für die Bands und Musiker der ersten Krautrockgeneration. Ohne Probleme könnten die ihre Wohnzimmer mit den Verweisen auf ihren Legendenstatus tapezieren, und gern wird ihnen von den Medien das Prädikat „Kult“ an die Brust geheftet. Wenn dann aber mal so eine Kult-Band wie etwa Faust in Berlin spielt mit einer weiterhin eigenwilligen und gar nicht nostalgisch verklärten Trümmermusik, kann es schon vorkommen, dass sich nur ein paar versprengte Haufen im Konzertsaal verlieren.

So ein paar versprengte Haufen aber können ja trotzdem Recht haben. Wenigstens bei einer Musik, die kaum auf die Hitparaden schielt und in einem experimentellen Elan lieber verschiedene Brocken zusammenwirft und schaut, wie man das auch ordentlich in den Fluss bringen kann, mal mit einer an Minimal geschulten motorischen Wucht, mal eher im Collagenprinzip. Musikalische Bewusstseinserweiterungen, nach denen der Krautrock auch weiterhin sucht, mit neuen Bands wie jetzt bei der zweiten Runde des Polyhymnia-Festivals. Manchmal glückt das sogar.

Auch Erfolg ist eben eine relative Angelegenheit.