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Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Er „hatte einen Syrer“

HILFE taz-Autor Hannes Koch nahm einen Geflüchteten bei sich auf. Bis es ihm zu viel wurde und er ihm eine andere Bleibe suchte

Geflüchtet, belehrt, unverstanden? Illustration: Christoph Vieweg

Unkenntnis

betr.: „Mein Flüchtling und ich“, taz vom 27./28. 5. 17

Lieber Hannes Koch, Ihr Artikel zeigt eindrucksvoll, wie das Abwälzen von gesellschaftlicher Verantwortung auf private Helfer in eine Überforderung mündet, wenn das Versagen unseres Gesundheitssystems dringende ärztliche Behandlung verhindert.

Zu meinem Entsetzen formulieren Sie in Ihrer eigenen Unkenntnis bezüglich posttraumatischer Belastungsstörungen Vorurteile, die das Opfer diskreditieren. Anstelle einen akuten fachärztlichen Behandlungsbedarf zu erkennen und zu organisieren, beschreiben Sie die offensichtlichen Auswirkungen einer schweren Erkrankung, vor deren Behandlungsmöglichkeit meist ein irrwitzigen Vorlauf von Fehldiagnosen und Mängelverwaltung steht. Damit stehen sie in Ihrem helfenden Dilemma nicht allein, denn der Malstrom von nicht behandelten Angststörungen kann durch die schweren Beeinträchtigungen des Denkens und Handels leicht mit asozialem Verhalten verwechselt werden (und fühlt sich genauso an!). Es braucht daher dringend noch viel mehr Aufklärung und Behandlungsplätze für posttraumatische Belastungsstörungen, die übrigens nicht nur bei Flüchtlingen auftreten! MICHA RABUSKE, Berlin

Schwarze Haare

betr.: „Mein Flüchtling und ich“, taz vom 27./28. 5. 17

Es ist schon immer wieder erstaunlich, wie viel Falsches sich im Wahren verbergen kann. Die Klage des Autors könnte als ebenso banale wie öde Elternbeschwerde über die Unwilligkeit, Unfähigkeit und weitgehende Erziehungsresistenz eines irgendwie missratenen Heranwachsenden durchgehen, wenn, ja wenn es sich bei dem Zögling nicht um einen jugendlichen Flüchtling handeln würde. Sorry, was hat Hannes Koch denn erwartet? Trotz zwanzigjähriger „Erziehungsarbeit“ scheint der Autor keinen blassen Dunst zu haben, wie 18-Jährige sein können: Nämlich genau so, es geht aber auch schlimmer. Viel schlimmer. Und die adäquate Antwort mag in vielen Fällen lauten: Raus, und sieh zu wie du klarkommst. Was denn sonst?

Was diese Suada so unappetitlich macht, ist die Erwartung des Autors, der Heranwachsende möge genauso funktionieren, wie er sich das vorstellt, weil er als „Flüchtling“ wahrgenommen wird und eben nicht – als Mensch, als Heranwachsender. Der zusätzlich mit traumatisierenden Erfahrungen belastet ist.

Der Beitrag ist ein schönes Beispiel für die versponnene, geradezu invers rassistische Denkwelt eines nicht geringen Teils der Unterstützungsszene. Wir basteln uns unsere Flüchtlinge, und wehe, die realen Menschen entsprechen nicht dem Konstrukt. Und wenn die schröckliche Wirklichkeit nicht mehr passend gebogen werden kann, bricht zwischen den Zeilen der heilige Zorn des wohlmeinenden Internationalisten hervor und offenbart Bedenkliches. Jaja, der Nachbar hat einen viel besseren Flüchtling abbekommen, und, also meiner kann ja schon sprechen, wie jetzt, eurer immer noch nicht? Und schlimm, schlimm, die fremdartigen „schwarzen Haare“ im Abfluss …Jetzt echt mal, Frage an den Autor: Blonde hätten nicht so sehr gestört, oder?

MARKUS STEUER, Darmstadt

Mut und Offenheit

betr.: „Mein Flüchtling und ich“, taz vom 27./28. 5. 17

Lieber Hannes Koch, vielen herzlichen Dank für diesen sehr persönlichen Einblick in Ihre Gefühlswelt. Ich bin seit vielen Jahren ehrenamtlich aktiv für einen Schüleraustauschverein, habe in dieser Zeit zahlreiche Gast- und Entsendekinder sowie deren Familien betreut, und auch selbst als Gastfamilie siebenmal ein Jahresgastkind in einen deutschen Alltag integriert – oder zumindest mein Bestes gegeben.

Ich kann Ihre Schilderungen und vor allem Ihren Frust sehr gut nachvollziehen und sehe, trotz selbstverständlich zahlreicher Unterschiede, viele Parallelen – vor allem im interkulturellen Miteinander.

Der Grund und die Motivation für den Weg nach Deutschland sind vollkommen unterschiedlich, wobei manche unserer Gastkinder durchaus nicht die First World Middle- oder Upper Class-Kinder sind, wie viele Menschen aufgrund der mit Flucht verbundenen Kosten vermuten würden.

Über die Motivation aller Austauschschülerinnen und Austauschschüler habe ich aufgehört zu mutmaßen: da ist alles dabei, von elternentsandt bis tatsächliches Interesse an Integration und dem Sich-Einlassen. Gelernt habe ich dabei: Ein „Erfolg“ kann unsichtbar sein und manchmal dauert es Jahre, bis ein Reflektions- oder sogar Veränderungsprozess bei Menschen eintritt. Aber wir haben Einfluss genommen oder Impulse gegeben.

Als Gesellschaft müssen wir aushalten, dass die Chancenverwertung (aus welchen Gründen auch immer) bei manchen Menschen in unserer Mitte trotz sichtbarer optimaler Bedingungen nicht gelingt oder einfach nur ein anderes Tempo hat.

Als direkt beteiligte Menschen bleibt uns manchmal nichts anderes übrig, als eine persönliche Schutzgrenze zu ziehen, wenn die Richtung oder Geschwindigkeit konträr zu uns verläuft. Und diese Freiheit steht uns zu – wobei wir ja wählen können, wie die Grenze aussieht.

Zum Zeitpunkt des Grenzbaus sehen wir nichts anderes, aber mit zunehmendem Abstand reflektieren und lernen wir selbst, welchen Einfluss oder Impulse dieses Miteinander auf das eigene Leben doch hatte. Nein, Sie sind kein selbstgerechter Erste-Welt-Sack. Sie sind vielleicht mit Privilegien der Ersten Welt großgeworden, die aber auch nicht immer ein Garant für ein gelungenes Leben sind (was auch immer das sein mag). Selbstgerecht – sicher nicht! Eine fremde Person für einen längeren Zeitraum bei sich aufzunehmen – da gehört eine Menge Mut, Offenheit und Menschenliebe zu, und die haben Sie bewiesen. Genießen Sie bis auf Weiteres Ihre „leere“ Wohnung! SHUGGI M. ARNEMANN, Hamburg

Sie brauchen Hilfe

betr.: „Mein Flüchtling und ich“, taz vom 27./28. 5. 17

Ich habe in einem Integrationskurs unterrichtet und dabei einige Karims kennengelernt. Intelligente junge Menschen, die depressiv waren und unkontrolliert auftraten. Ich fand es eindeutig, dass sie ganz massiv psychologische Hilfe brauchten, vom ersten Tag in Deutschland an. Sonst schaffen sie den A1-Kurs, der ja auch nur der Anfang ist, nicht. Nicht, weil sie faul sind, sondern weil sie faul sein wollen, als Selbstschutz. Ich habe mir nie eingebildet, ihnen psychologisch helfen zu können. Das offensichtlich fehlende Angebot habe ich so hingenommen. Hier müsste der Staat erheblich mehr tun. Was Hannes Kochs Vorwurf angeht, Karim sei faul etc. – hier hätte er thematisieren müssen, wie er durch seine kulturellen Deutungsmuster geprägt ist. Karim ist hauptsächlich aus Sicht eines westlichen ehrgeizigen Akademikers faul. Aber ja, es war wohl richtig, ihn in ein neues Zuhause zu schicken. ANDREAS STOLTE, Marsberg

Danke

betr.: „Mein Flüchtling und ich“, taz vom 27./28. 5. 17

Danke für diese Offenheit! Als ich mit meiner Familie 1992 eine bosnische Flüchtlingsfamilie aufgenommen hatte, hatten wir zu lernen: Flüchtlinge sind keine „besseren Menschen“ – und Flüchtlingshelfer auch nicht.

DIETRICH SCHWARZE, Witten