„Die alte Dame hat sich verzockt“

Das bleibt von der Woche Die Einlass­kontrollen beim Kirchentag sind doch recht lasch, im Lichtenberger Kraftwerk Klingenberg brennt keine Braunkohle mehr, die Herkunft eines Kindes ist für die Schulwahl entscheidend, und dem Land droht mit dem Olympiastadion die nächste Großbaustelle

Es geht auch ganz entspannt

Kirchentag in Berlin

Für viele war es mit Sicherheit der erste Ausflug ohne Eltern

Man muss Großveranstaltungen nicht mögen, aber sie gehören nun einmal dazu. Mal sind es Fußballfans, die gelb oder rot durch die Stadt ziehen, bei der Fashion-Week die Andersangezogenen, die Berlinale-Besucher tragen ihre Umhängetaschen mit sich herum und die Kirchentagsbesucher ihre orangefarbenen Schals. Wer da als Nichtgläubiger am liebsten ein Kreuz schlagen will, sei daran erinnert, dass Berlin noch jeden Besucher mehr geprägt hat, als es die Besucher mit Berlin tun. Soll heißen: Grämt euch nicht, auch nach dem Christenspektakel bleibt die Kirche im Dorf.

Dennoch war der Evangelische Kirchentag, der am vergangenen Mittwochabend begonnen und mit der Obama-Merkel-Diskussion am Donnerstag schon seinen Höhepunkt hatte, mit Spannung erwartet worden. Der Anschlag in Manchester, bei dem 22 Menschen umkamen, war Anlass, noch einmal das Sicherheitskonzept zu überprüfen, und Innenminister Thomas de Maizière kündigte an, nun nicht nur Einlass-, sondern auch Auslasskontrollen durchzuführen.

In der Praxis aber war davon nicht viel zu spüren. Wer zu Oba­ma und Merkel wollte, musste kurz den Rucksack öffnen, bekam ein Bändchen angeklebt – fertig war die Einlasskontrolle. Und noch bevor die Diskussion am Brandenburger Tor beendet war, waren am Ausgang Lennéstraße fast alle Gitter abgebaut. Von wegen Auslasskontrolle.

Ganz bewusst hatten sich Veranstalter und Polizei also darauf geeinigt, so entspannt wie möglich und nur so martialisch wie nötig (Beamte mit Maschinenpistolen) aufzutreten. Gut so, denn je stärker die Kontrollen sind, desto mehr Unsicherheit wird auch in die Menge getragen. Und absolute Sicherheit, das wissen auch 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, gibt es nicht.

So war der Kirchentag also ein Massenhappening, dem vor allem die Jugendlichen ihr Gesicht gaben. Für viele war es mit Sicherheit der erste Ausflug ohne Eltern, und das noch nach Berlin – und Obama gab’s obendrauf.

Und weil das Wetter auch noch mitspielte, bleibt die Bilanz reichlich einseitig. Berlin hat sich mal wieder von seiner besten Seite gezeigt. Uwe Rada

Kleiner Fortschritt, hart gefeiert

Braunkohle, ade!

Die Gewinnung von Strom aus Lausitzer Kohle hat die Berliner Luft schwer belastet

Und klick: Am vergangenen Mittwoch hat Vattenfall das letzte Berliner Braunkohlekraftwerk ausgeknipst. Gut so. Aber nur ein allererster Anfang auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität.

Die Gewinnung von Strom und Wärme für rund 300.000 Haushalte aus Lausitzer Braunkohle im Lichtenberger Kraftwerk Klingenberg hat die Berliner Luft schwer belastet. Mit direkt Gesundheitsschädlichem wie Feinstaub und Sulfaten, vor allem aber mit ebenso unsichtbarem wie klimawirksamem Kohlendioxid. Wenn Klingenberg erst einmal wie geplant auf Erdgas umgestellt ist, wird es bei gleicher Leistung jährlich ca. 600.000 Tonnen CO2 weniger aus seinen markanten Schornsteinen an der Spree blasen.

Mehr als die doppelte Menge des Klimakillers ließe sich bei einer Umstellung der verbliebenen (Stein-)Kohlekraftwerke Reuter, Reuter-West und Moabit auf Erdgas erreichen und noch viel mehr, wenn der Ersatz auf der Basis erneuerbarer Energiequellen geschieht. Einfach so verfügen kann der rot-rot-grüne Senat das aber nicht, er hat auch im Fall der Braunkohle nur davon profitiert, dass der Vattenfall-Konzern, der gerade seine Kohlesparte in der Lausitz abgestoßen hatte, den dreckigen Stoff auch nicht von seinem dortigen Nachfolger Leag kaufen wollte.

Deshalb will die Koalition nun auch noch „Geschichte schreiben“ (Umweltsenatorin Regine Günther) und hat eine Novellierung des Energiewendegesetzes in den parlamentarischen Prozess eingebracht, die den Ausstieg Berlins als ersten deutschen Bundeslands aus beiden Kohlearten festschreiben soll. Für den Grünen-Abgeordneten Georg Kössler erfüllt sich damit ein Traum, den er nach eigener Aussage schon in der Grünen Jugend geträumt hat. „Deswegen feiere ich gerade Politik so hart ab“, sagte er unlängst im Abgeordnetenhaus.

Da ist genauso etwas dran wie am Argument der CDU, das Gesetz sei eine „ganz billige PR-Nummer“ aus Anlass des Klingenberg-Abschaltung. Denn wie gesagt, die war dem Senat quasi in den Schoß gefallen. Und die neue Formulierung im Gesetzestext besagt nun lediglich, dass der Senat auf einen definitiven Steinkohlestopp am 31. 12. 2030 „hinwirken“ wird. Das ist nicht nichts, aber auch nicht wirklich viel. Es liegt jetzt an der Ausgestaltung der Umweltpolitik, dass am Ende mehr als die sprichwörtliche heiße Luft dabei herauskommt. Claudius Prößer

Eltern wollen immer das Beste

Ungerechtes Schulsystem

Das Elternhaus wird immer eine Rolle dabei spielen, welche Chancen ein Kind hat

Die Herkunft eines Schülers entscheidet in Berlin noch immer maßgeblich darüber, welche Bildungschancen er oder sie hat. Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung hatte ausgewertet, wie hoch an den einzelnen Schulen der Anteil der lernmittelbefreiten SchülerInnen ist – also derjenigen Kinder, deren Eltern Leistungen vom Jobcenter beziehen. Das Ergebnis: An den Sekundarschulen ohne Oberstufe, hauptsächlich ehemalige Haupt- und Real­schulen – liegt ihr Anteil bei 54 Prozent. An den Schulen mit Abi-Option sind es nur etwa ein Drittel, an den Gymnasien nicht mal ein Fünftel.

Die Zahlen sind deutlich, überraschend sind sie nicht. Die Schulreform 2010 bedeutete für viele Hauptschulen lediglich eine Umbenennung. Die Schülerschaft und die Probleme – niedriges Leistungsniveau, hohe Abbrecherquoten, mangelnde Nachfrage – blieben dieselben. Die Idee, auch bildungsorientierte Eltern und leistungsstarke Kinder für diese Schulen zu gewinnen, indem man ihnen die Abi-Option an einer der kooperierenden Oberstufenzentren wie einen Trüffel vor die Nase hielt, funktionierte nicht.

Natürlich nicht: Eltern entscheiden sich, wenn es um die Kinder geht, stets für das Beste, nicht für das Zweitbeste. Schon gar nicht entscheiden sie sich dafür, auf Kosten der Bildungschancen ihres Kindes die Schulwelt ein Stückchen gerechter zu machen.

Die Senatsbildungsverwaltung hat das seit ein paar Jahren begriffen, doch der Umbauprozess schleppt sich dahin: Seit 2015 dürfen sich Sekundarschulen zusammentun, um eine gemeinsame eigene Oberstufe aufzubauen. Allerdings gibt es erst drei Schulen, die das bisher getan haben. Nun soll demnächst mal wieder ein Arbeitsbündnis eingerichtet werden, um die Situation an „schwierigen Standorten“, wie es heißt, zu verbessern. Schaden kann’s nicht: Natürlich wird das Elternhaus immer eine Rolle dabei spielen, welche Chancen ein Kind hat. Allein wenn ein Kind Eltern zu Hause hat, die sich dafür interessieren, was aus ihm wird, ist das ein Startvorteil. Aber die Schulen sollten diesen Vorteil nicht noch größer werden lassen. Anna Klöpper

Die nächste Großbaustelle

Hertha-Stadion

Irgendwann fiel noch auf, dass man die Leichtathletik vergessen hatte

Alles neu macht manchmal der Mai, aber nicht in Berlin, jedenfalls keine neuen Stadien. „Überraschend“ (Hertha-Präsident Gegenbauer) ist ein Umbau des alten Olympiastadions plötzlich doch möglich, und ein neues Stadion für Hertha schon Geschichte, bevor es gebaut wurde. Warum?

Offiziell, weil dem Verein jetzt auffiel, dass das alte Stadion doch modernisierbar ist. Hätte man das bei all den Studien ahnen können. Inoffiziell eher so: Die alte Dame Hertha hat sich verzockt. Entweder ein neues Stadion im Olympiapark oder wir gehen nach Ludwigsfelde, so war Herthas Argumentation gegenüber dem Senat. Eigentlich nicht so schlecht gedacht: Mama, wenn du mir keine Süßigkeiten bezahlst, geh ich zu Oma und die kauft sie eh. Die Mehrheit der Hertha-Fans aber lief gegen Ludwigsfelde Sturm, und ohne Druckmittel halt kein Druck.

Jetzt also preisen Hertha und der Senat eine Kompromisslösung an, die eigentlich keiner will und die auch nie sinnvoll war. Die Tartanbahn im Olympiastadion soll weg und die Ränge sollen steiler werden – an der grundsätzlichen Optik darf aber aus Denkmalschutzgründen nichts getan werden.

Moderner wird das Stadion damit kaum und gemütlicher auch nicht. Es soll weiter eine Kapazität von bis zu 70.000 haben, viel zu groß für Hertha. Irgendwann fiel noch auf, dass man die Leichtathletik vergessen hatte, die ohne Tartanbahn keine Chance mehr auf Großveranstaltungen hat. Jetzt ist von absenkbaren Tartanbahnen die Rede. 150 Millionen soll das alles kosten, auch mit Steuergeldern. Dazu kommen Ausgaben für ein, ja, wirklich, extra gebautes Übergangsstadion (angeblich 50 Millionen) und eine mögliche neue Leichtathletikstätte. Eine schlecht durchdachte Großbaustelle droht. Ob der Umbau überhaupt mehr Publikum bewirkt, weiß niemand. Und all das für einen Preis, der wohl absurderweise den eines neuen Stadions übersteigt. Ein Neubau hätte 200 Millionen gekostet. Privat finanziert.

Alina Schwermer