„Vielleicht historischer Moment“

Claudia Roth sieht eine „Entdämonisierung“. Edmund Stoiber denkt schon an „Vorläufer“ auf Landesebene. Trotzdem: Im Bund gibt es keine Koalition

VON ULRIKE WINKELMANN

Die Grünen-Chefin Claudia Roth hat noch nie so lange mit dem Bayernchef Edmund Stoiber an einem Tisch gesessen. Stoiber trug eine hellblau-grüne Krawatte. Deshalb, sagte Roth, „hat er Stil“. Doch mehr, darüber waren sich alle Teilnehmer des ersten schwarz-grünen Sondierungsgesprächs gestern einig, ist über eine gemeinsame Regierungsbildung auf Bundesebene gegenwärtig nicht zu sagen. Deshalb gibt es auch keine weitere Verabredung. Kurz: Die „Schwampel“ oder auch „Jamaika-Koalition“ aus Union, Grünen und FDP findet nicht statt. Nicht im Jahre 2005.

Die Gegensätze, erklärte CSU-Chef Stoiber gestern Mittag vorm Reichstag in Berlin, „waren doch sehr, sehr groß – wie wir es schon vorher vermutet hatten“. Wie vor allem er selbst es vermutet hatte. Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel schränkte also ein: Man habe sich unter anderem über den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen unterhalten.

Außerdem werde man „im Lichte der Gespräche mit den Sozialdemokraten“ sehen, ob man noch einmal mit den Grünen an einen Tisch komme. „Es ist nichts beendet, aber es ist auch nichts Weiteres verabredet.“ Wenigstens ein klein wenig Druck auf die SPD in den anstehenden großkoalitionären Verhandlungen möchte Merkel durch den Grünen-Flirt aufrechterhalten.

Vergebliche Liebesmüh. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer erklärte: Die Grünen werden nicht „Hilfsmotor für die Durchsetzung schwarz-gelber Politik über die Hintertreppe“ sein. CDU und FDP hätten den Wahlkampf für eine „Systemveränderung“ geführt, sagte Roth. Diese sei „ungerecht und unsozial“, mit „ökologischer Blindheit“ geschlagen und enthalte ein „konservatives Gesellschaftsmodell“. Auf die Frage jedoch, welche Konsequenz Merkel und Stoiber daraus zögen, dass sie den Wahlkampf damit verloren hätten, seien sie „die Antwort schuldig geblieben“, ergänzte Bütikofer. Auf einzelne Themen oder gar Personalia, sprich Ministerien, sei man gar nicht zu sprechen gekommen. Deshalb sei man auf Merkels Angebot eines zweiten Gesprächs nicht eingegangen.

Nun hat aus der ersten Reihe der Grünen in der gesamten Nachwahlwoche niemand eine schwarz-gelb-grüne Koalition für möglich oder gar erstrebenswert gehalten. Die grünen Minister hatten sich schon am Montag von Kanzler Gerhard Schröder bestätigen lassen, dass es ihm um die Bildung einer großen Koalition gehe. Und die FDP hat nicht die Absicht, für Rot-Grün den Steigbügelhalter zu machen.

Längst bereiten die Spitzengrünen sich daher auf die Oppositionsrolle vor: Nun doch ohne den Aufmerksamkeitsmagneten Joschka Fischer, aber mit einer gewissen Erfahrung im Dagegensein. Und da hat die Beendigung aller „Schwampel“-Spekulationen den Grünen immerhin die Gelegenheit geboten, ihr auf dem Wahlparteitag Anfang Juli gewähltes Profil als „moderne Linke“ zu schärfen.

Gleichzeitig, erklärte Roth gestern nach dem Gespräch mit Merkel und Stoiber, sei es ein „wichtiger und vielleicht sogar historischer Moment, dass man ernsthaft miteinander redet und sich gegenseitig als politische Kraft anerkennt“. Damit sei eine „Enttabuisierung“ und, was bayerische Verhältnisse angehe, „Entdämonisierung“ erreicht.

Womit der Nutzen der „Schwampel“-Spekulationen sich für die Grünen verdoppelt hätte: Bei künftigen schwarz-grünen Verhandlungen etwa auf Länderebene können sie immer auf die gestrigen „ernsthaften, offenen und unverstellten“ (Bütikofer) Gespräche verweisen. Ganz zu schweigen von den Unionspolitikern, die bei Energiepolitik und EU-Türkeibeitritt sogar Zugeständnisse angedeutet hatten. Selbst Stoiber sagte gestern: „Wir werden sehen, ob es nicht Vorläufer in dem einen oder anderen Bundesland“ geben wird.

Nicht zuletzt wollen die Grünen am Dienstag ihre beiden Fraktionsvorsitze neu besetzen. Die fünf Kandidaten waren zwar entgegen allen Absprachen durch Fischers Abgang am Dienstag in einen frühzeitigen Postenwettstreit gezwungen worden. Die „Schwampel“-Diskussionen jedoch boten ihnen wenigstens ein Thema, ihre Eignung zur Führung einer „modernen linken“ Fraktion hervorzukehren. Sowohl Wahlkampfmanager Fritz Kuhn als auch die derzeitige Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, beide schwarz-grüner Gelüste nicht unverdächtig, sprachen gestern viel von sozialem Zusammenhalt.