Das kranke Lehrerzimmer

Fast die Hälfte der nordrhein-westfälischen LehrerInnen hält nicht bis zur Pensionierung durch: Ihr Job macht sie krank. Land und Kommunen kommen Verpflichtungen nicht nach, sagt die Gewerkschaft

VON MIRIAM BUNJES

Die Leiden sind häufig psychisch: Burn-Out, Nervenzusammenbruch, Dauerstress durch Mobbing. Fast die Hälfte aller Lehrerinnen und Lehrer im Land Nordrhein-Westfalen beendet allein wegen psychischer oder psychosomatischer Krankheiten ihre Karriere, hat die Lehrergewerkschaft GEW ermittelt. Hinzu kommen reihenweise Ausfälle wegen massiver Hörschäden oder Bandscheibenvorfällen. „An nordrhein-westfälischen Schulen sind nur noch knapp vier Prozent der Lehrerinnen und Lehrer über 60 Jahre alt“, sagt Renate Boese, stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Das liege nicht daran, dass ältere Menschen dem Beruf nicht mehr gewachsen sind. „Unser Arbeitsplatz macht uns systematisch krank“, sagt Boese. „Und unseren Arbeitgeber kümmert das wenig.“

Daten über den Gesundheitszustand der nordrhein-westfälischen LehrerInnen hat die Gewerkschaft mühsam aus unterschiedlichen Studien zusammengerechnet. „Nicht einmal dafür ist offenbar Geld da“, sagt Renate Boese. Bei der Arbeitsgruppe Gesundheit der Lehrergewerkschaft gingen täglich die „unglaublichsten Beschwerden“ über die Arbeitsbedingungen ein, sagt die Gewerkschafterin. Zentimenterdicker Schimmel im Lehrerspind, Klassenräume mit Echo-Effekten seien üblich. Missstände, mit denen die Betroffenen oft jahrelang leben und arbeiten müssen. „Die Kommunen sanieren aus Geldmangel nur sehr zögerlich“, sagt Boese. „Ich habe schon viel Dreck in Schulen gesehen, in Banken und Versicherungsgesellschaften aber noch nie. Hier zeigen sich überdeutlich die Prioritäten unserer Gesellschaft.“

In der Kritik der Gewerkschaft steht vor allem der arbeitsmedizinische Dienst, den die rot-grüne Landesregierung im Jahr 2000 aufgrund einer veränderten Vorschrift im Arbeitschutzgesetz aufgebaut hat. 1,2 Millionen investiert das größte Land zur Zeit in den Dienst, der Beschwerde-, Vermittlungs- und Informationsstelle für die 185.000 nordrhein-westfälischen LehrerInnen und LehramtsanwärterInnen sein soll. Hier sollen belastende Konflikte mit Vorgesetzten und Kollegen gelöst, Sanierungen bei der zuständigen Kommune eingefordert werden und über die bei LehrerInnen immer häufiger vorkommende Suchtproblematik aufgeklärt werden. „Ein Dienst, der derartig auf Sparflamme gefahren wird, kann das natürlich nicht ansatzweise leisten“, sagt Renate Boese. „Wir bräuchten mindestens sechs Millionen Euro, um eine der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst gleichwertige Gesundheitsfürsorge an den Schulen leisten zu können.“

Auf Ganztagsbetrieb umstellen könnte man die meisten NRW-Schulen unter den derzeitigen Bedingungen eigentlich nicht. „Lehrer haben nicht einmal einen eigenen Arbeitsplatz“, sagt Böse. „Sie können ihre Pause in einem Raum mit neunzig Leuten verbringen und müssen die Schülertoiletten mitbenutzen.“ Sie fordert deshalb von der Landesregierung, die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten in den Schulen schnellstmöglich zu verbessern – auch im Interesse der SchülerInnen: „Kranke Lehrer sind schlechte Lehrer.“

Die richtet ihr Interesse in erster Linie auf die Kinder, heißt es aus dem Düsseldorfer Schulministerium. „Uns ist natürlich klar, dass der Gesundheitszustand der Lehrer auch mit Unterrichtsqualität zusammenhängt“, sagt Klaus Spenlen, Ministerialrat für Gesundheitsförderung im Schulministerium. Er verweist auf die im Wahlkampf von Schwarz-Gelb versprochenen zusätzlichen Lehrerstellen. „Die werden die Schulen entlasten.“ Außerdem biete das Ministerium im Internet kostenlose Gesundheitsberatung durch Fachleute an.