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Die Meistersingerin

Opernpremiere Benedict Andrews hat an der Komischen Oper „Medea“ von Aribert Reimann inszeniert: Die Bühne ist schwarz und leer, aber die Musik des Berliner Komponisten leuchtet

Nicole Chevalier als Medea Foto: Monika Rittershaus

von Niklaus Hablützel

Sieben Jahre hat es gedauert, bis dieses Werk des Berliners Aribert Reimann nun endlich auch in Berlin zu sehen, vor allem aber zu hören ist. Nach der Uraufführung 2010 in Wien war die Presse einhellig begeistert, und was am Sonntagabend in der Komischen Oper zu erleben war, ist tatsächlich nichts Geringeres als ein Meisterwerk.

Es fällt schwer, den Reichtum und die Größe dieser Musik in Worte zu fassen. Sie ist vor allem deswegen ein Meisterwerk, weil sie nicht versucht, den altbekannten mythischen Stoff der Kindsmörderin Medea mit möglichst auffälligen Effekten zu illustrieren. Im Werkzeugkasten moderner Musik läge dafür so einiges bereit. Reimann hat sich dafür noch nie interessiert. Seine Medea will nicht schockieren oder provozieren. Die Figuren der Sage entstehen vielmehr überhaupt erst in einem hoch konzentrierten, unglaublich dichten Geflecht von Motiven, Rhythmen und Klangfarben, die manchmal in kaum noch entwirrbaren Schichten übereinanderliegen, dann aber immer wieder Raum lassen für Melodien, die in mikrotonale Koloraturen eingehüllt eine geradezu altmeisterliche Schönheit ausstrahlen.

Die Ansprüche für die Aufführung sind enorm, und so gehört es zu den Wundern dieser großen Oper, dass sich ausgerechnet das kleinste der drei Berliner Opernhäuser der Herausforderung gestellt hat. Steven Sloane leitet das Orchester so ruhig und sicher durch das Dickicht von Instrumentalstimmen, dass wirklich alles zum sinnlichen Erlebnis wird. Und Nicole Chevalier, eigentlich nichts weiter als bewährtes Mitglied des Ensembles, wächst in der Titelrolle zu einer wahren Meisterinsingerin heran, weil ihre Stimme noch in extremsten Lagen und schroffsten Intervallsprüngen so klar und rein klingt, als sei diese Akrobatik das Selbstverständlichste der Welt.

Ihrer strikten Konzentration auf das Innere der Musik wegen steht Reimanns Oper durchaus in der Gefahr, in einer gewissen Gediegenheit zu erstarren. Mit Nicole Chevalier jedoch wird sie bei aller Kunstfertigkeit, die hier am Werk ist, zum unmittelbar packenden, ergreifenden Drama einer bemerkenswerten Frau. Reimann hat Franz Grillparzers Version der Sage aus dem Jahr 1821 zur Grundlage der Gesangstexte genommen. In den Worten des konservativen Wiener Romantikers erzählt Chevalier nun das Schicksal dieser Fremden aus Kolchis am Schwarzen Meer, mit Mann und zwei Söhnen ins griechische Exil verschlagen. Sie klagt nicht darüber, sie möchte hier heimisch werden und vergräbt ihr Reisegepäck in der neuen Erde.

Das in grausamen Schlachten der Antike umkämpfte Goldene Vlies liegt in ihrem Koffer, dazu einige Utensilien zur Zauberei. Eine gewöhnliche Frau ist Medea nicht, sie kann zaubern und hat göttliche Ahnen, aber darauf kommt es Chevalier nicht an. Reimann hat ihr einen leisen Anfang geschenkt. „Gutes soll hier wachsen“, singt sie, aber es endet schlimm. Jason, ihr Mann, verlässt sie für die Königstochter, Kreon, der griechische Herrscher, will nur ihre Söhne behalten, sie selbst aber soll gehen.

Ein wenig mehr Theater hätte dem Werk wahrscheinlich gutgetan

Das passt so haargenau zur aktuellen politischen Lage, dass es fast schon peinlich ist. Zum Glück hat es der Regisseur Benedict Andrews bei der Andeutung der Umrisse eines Flüchtlingszeltes durch dünne Eisendrähte belassen. Die Bühne bleibt in beiden Akten gleich schwarz und leer. Dunkel gekleidete Männer und eine Frau in gelber Robe sitzen ganz hinten auf einer Bank und warten auf ihre Auftritte.

Ein wenig mehr Theater hätte dem Werk wahrscheinlich gutgetan, aber immerhin bleibt so genug freier Raum für Nicole Chevalier. Sie kann nicht nur singen, sie spielt diese Frau mit einer wunderbar ausbalancierten Leidenschaft, die nicht das Innenleben der Gefühle offenbart, sondern sich in einer gewissermaßen objektiven Wut entlädt, die kein tiefenpsychologisches Verständnis erfordert. Sie ist absolut mythisch, mordet ihre Kinder und brennt den ganzen Palast nieder. Nicht aus Rache für erlittenes Unrecht, sie will endlich freikommen von diesem Land, das sie verstößt. „Jetzt bin ich wieder Medea“ lässt Reiman sie danach singen, so leise wie das ganze Stück endet. Sie gräbt ihren Koffer aus und geht. Jason hat das Gemetzel überlebt, sie verabschiedet sich von ihm mit dem Satz: „Der Traum ist vorbei, die Nacht ist noch lang.“

Das schrieb Grillparzer 1821. Besser als so lässt sich auch eine Flüchtlingstragödie von heute kaum zusammenfassen. Großes, politisches Theater also und natürlich kam Aribert Reimann persönlich zur Premierenfeier. Er wohnt am Rand des Grunewalds. Er hat alle umarmt und Nicole Chevalier hat ihn mit einem fröhlichen Tanz extra zum zweiten Applaus auf die Bühne geholt: ein Meisterabend.

Nächste Aufführungen am 25. Mai, dann am wieder 5. Juni, 20. Juni und 25. Juni

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