„Die haben uns vorgeführt“

Die SG Flensburg-Handewitt rehabilitiert sich nach der Niederlage gegen den TV Großwallstadt mit einem 39:33-Sieg gegen den Erzrivalen aus Kiel. Beim THW brennen jetzt alle – auf die Revanche am Dienstag im Handball-Pokalwettbewerb

aus Flensburg Christina Stefanescu

„Oh Mann, als die Türen zugingen dachte ich: Das war‘s. Ich hab mich schon vor dem Fernseher sitzen sehen“, sagt Heiko. „Ich steh‘ am Bahnhof in Nortorf, in drei Minuten fährt die Bahn und ich bin der Einzige. Als der Zug einfuhr, saßen die anderen beiden noch im Auto.“ Der 36-Jährige fährt sich durch seine kurzen, dunklen Locken. Jörn, 36, und Lutz, 35, schauen lieber auf den Boden, statt sich zu verteidigen. Wäre schon blöd gewesen, den Zug zu verpassen. „Und das beim Derby!“ Heiko schüttelt den Kopf. Heiko, Jörn und Lutz tragen ihre Ausgehhemden: schwarz/weiß, auf der Brust prangt das Logo einer großen Versicherung, auf dem Rücken eine Nummer und ein Name. Bei Jörn und Lutz die 20 und „Zeitzi“, bei Heiko die 10 und „Lövgren“.

Es gibt Wichtigeres zu diskutieren als das knappe Einsteigen. Die Regionalbahn rattert weiter in Richtung Norden, in Richtung Flensburg. Ihr THW Kiel spielt an diesem Samstag gegen die SG Flensburg-Handewitt. Heiko, Jörn und Lutz stehen vor der Ersten Klasse und spekulieren über das, was da kommen mag. „Das wird eine knappe Kiste“, sagt Jörn. Die anderen nicken. „Wir wären ja auch mit einem Unentschieden zufrieden“, meint Lutz. „Ja, aber Flensburg muss eigentlich gewinnen – nach der Schlappe gegen Großwallstadt“, wirft Jörn ein, und: „Zum Glück spielen wir am Dienstag in der Ostseehalle. Zweimal in vier Tagen in Flensburg zu gewinnen wäre nicht machbar.“

Am Dienstag ist Pokalspiel. Meister Kiel hat den Pokalsieger zugelost bekommen. Es ist nicht das Pokalfinale, es ist nur ein Zweitrundenspiel. Aber wer verliert, ist raus. „Den Pokal finde ich nicht so richtig wichtig“, sagt Heiko. Lieber will er wieder Meister werden und irgendwann auch endlich mal die Champions League. „Eine bessere THW-Mannschaft hat es noch nie gegeben“, glaubt Lutz. Die hat nach fünf Spielen 10:0 Punkte und führt die Tabelle an. Flensburg ist nur Sechster. In Flensburg glaubt keiner so richtig an einen Sieg gegen den THW Kiel.

Der beste THW den es je gab ist an diesem Samstag aber nicht so ganz bei sich. Von Totalausfällen auf der rechten Seite wird Kiels Trainer Noka Serdarusic nach dem Spiel sprechen. Und, dass von der Mitte so gut wie nichts kam. Sein Kreisläufer Marcus Ahlm macht zwar das erste Tor des Spiels, aber auch kein weiteres. Acht Minuten nach Anpfiff führt die SG Flensburg-Handewitt mit 6:3. Heiko, Jörn und Lutz ahnen jetzt schon, dass das mit dem Sieg in Flensburg nichts wird. Die Abwehr ist zu löchrig, der Angriff zu schwach.

Eigentlich müssten sich der THW jetzt aufbäumen, seine ganze Klasse zeigen und nicht nur ausgleichen, sondern gleich auch noch in Führung gehen. Tut er nicht. Da nützen auch die Rufe der Kieler Fans nichts. Sie sind auch nur leise zu hören. Die Hölle Nord, wie die Flensburger ihre Halle nennen, kocht. In der 14. Minute liegt Flensburg das letzte Mal im Spiel nur mit zwei Toren vorn. Zur Halbzeit steht es 19:16. Heiko, Jörn und Lutz genehmigen sich ein Bier: auf das ihre Jungs keine 40 Gegentore bekommen. So richtig daran glauben wollen sie nicht.

Immerhin führt der HSV zur Halbzeit mit 1:0 gegen Bayern München. So einen wie Rafael van der Vaart könnten sie bei den Kieler Handballern jetzt gut gebrauchen. Einen, der den Ball ins Tor reinzaubert, an Jan Holpert und Dan Beutler vorbei, egal ob oben oder unten, egal ob links oder rechts. „Der Knackpunkt im Spiel war der Siebenmeter von Nikola Karabatic in der ersten Minute der zweiten Halbzeit“, sagt Heiko nach dem Abpfiff. Hätte der 21-Jährige Franzose den verwandelt, so die Rechnung des Fans, wäre der THW wieder rangekommen. Doch der Neuzugang aus Montpellier, von dem Jörn sagt, dass er in zwei Jahren der beste Spieler der Welt sei, wirft nur übers Tor. Trotzdem ist er einer der besten Kieler auf dem Feld. Flensburg zieht weiter davon.

„Die haben gespielt, richtig schön Handball gespielt. Die haben uns vorgeführt“, urteilt Lutz über den Angriff der Flensburger. Und die eigene Mannschaft, die hätte praktisch ohne Abwehr gespielt. Noka Serdarusic drückt das etwas diplomatischer aus, aber auch er ist enttäuscht. „Wir haben in der Abwehr viel zu schnell Tore kassiert“, sagt er in der Pressekonferenz. Viele schnelle Tore lesen sich nach 60 Spielminuten auf der Anzeigentafel so: 39:33.

Eine Blamage? „Nein,“ sagt Heiko, „wenn wir schon verlieren, dann hier. Immerhin haben wir gegen Flensburg verloren und nicht in Großwallstadt.“ Sein Freund Lutz fügt hinzu: „Wenn du jetzt nicht bei der Ehre gepackt bist, dann weiß ich auch nicht weiter. Jetzt muss jeder brennen.“ Jörn nickt und nippt am Bier. Herbert, ein befreundeter Flensburger streckt die Hand in die Kieler Runde. „Schön war‘s,“ sagt er, „zumindest für uns.“

Am Dienstag, da sind sich Heiko, Jörn und Lutz einig, wird alles anders aussehen, da wird der Sieger THW Kiel heißen. Und jetzt? „Jetzt feiern wir eben den 2:0-Sieg des HSV gegen den FC Bayern“, grinst Jörn.