LeserInnenbriefe
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Kein Schutz in Deutschland

betr.: „Weniger als das Minimum“, „Zulässiges Druckmittel“ (Kommentar), taz und taz.de vom 13. 5. 17

Das Bundessozialgericht schuf mit seinem Urteil vom 5. Mai, in dem es einem abgelehnten Asylbewerber aus Kamerun das Existenzminimum versagte, einen gefährlichen Präzedenzfall. Leider scheint taz-Autor Christian Rath in seinem Kommentar die Tragweite dieser Entscheidung nicht erkannt zu haben. Denn in der Konsequenz dieses Urteils werden Schutzsuchende vor die Wahl gestellt, entweder in Hunger, Elend oder Krieg abgeschoben zu werden oder hier ein Leben unterhalb des Existenzminimums führen zu müssen. Der Autor bezeichnet Kamerun trotz der hinlänglich bekannten systematischen Verfolgung von Oppositionellen, Dürre und Hungerkatastrophen beschönigend als „menschenrechtspolitisch sicher kein Musterstaat“.

Mir ist der Grund, warum der Kläger 13 Jahre trotz gekürzter Sozialleistungen und stark eingeschränkter Rechte mit einer Duldung in Deutschland blieb, genauso wenig bekannt wie Christian Rath. Doch die Situation in Kamerun ist offenbar so schlecht, dass der Betroffene lieber 13 Jahre lang die vom taz-Autor gerechtfertigten entwürdigenden Bedingungen ertrug.

Auch die Tatsache, dass die angewandte Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz seit 1998 besteht, relativiert nicht die hierdurch entstandene und vielfach beanstandete Rechtsverletzung. Das jetzige Urteil des Bundessozialgerichts betrifft auch abgelehnte Asylsuchende aus Kriegsländern wie Afghanistan oder Irak. Aus der Praxis weiß ich, dass selbst bei einer eskalierenden Kriegssituation wie in Afghanistan die Anerkennungsquote von 77,6 Prozent im Jahr 2015 auf 46,7 Prozent im Jahr 2017 abgenommen hat. Statt die Sanktionierungsspirale immer weiter anzuziehen, sollte das Bleiberecht von Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, anerkannt werden. Ein Ende der auf verdrehten Tatsachen beruhenden flüchtlingsfeindlichen Propaganda würde eher zu einer Akzeptanz der Aufnahme von Geflüchteten beitragen als fort­gesetzte Diskriminierung und Kriminalisierung von Menschen in Not. ULLA JELPKE, Berlin

Fair heißt existenzsichernd

betr.: „Die Ärmsten profitieren nicht vom fairen Handel“, taz vom 15. 5. 17

In Ihrem Artikel kritisieren Sie, dass Fairtrade nicht die „Ärmsten der Armen“ erreiche. Was aber viel schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass selbst zertifizierte Kleinbauern und -bäuerinnen zum Teil weit unterhalb der Armutsgrenze leben. Zumindest beim Kakao ist das Fairhandelssystem weit davon entfernt, einen fairen Preis zu garantieren. Dies ist zwar ein weitverbreiteter Glaube bei VerbraucherInnen, doch in der Praxis hält dieser nicht stand. Der Fairtrade-Mindestpreis von 2.000 US-Dollar pro Tonne Kakao lag bis Anfang 2017 unter dem Weltmarktpreis. Damit erhielten auch zertifizierte Kakaobauern und -bäuerinnen jahrelang denselben Preis pro Tonne Kakao wie konventionell arbeitende Kakaobauern und -bäuerinnen.

Das Inkota-Netzwerk hat gemeinsam mit anderen NGOs berechnet, dass sich das Einkommen einer durchschnittlichen Kakaobauernfamilie in der Elfenbeinküste vervierfachen müsste, damit sie über die Schwelle der absoluten Armut kommen. Auch die Fairtrade-Prämie (200 US-Dollar pro Tonne) hat laut dem letzten Impact Report von Fairtrade nur geringfügige Auswirkungen auf die Einkommenssituation der Bauern. Der faire Handel bleibt ein wichtiges Instrument, um die Lage von Kleinbauernfamilien zu verbessern (durch Stärkung von Kooperativen und lokalen Gemeinschaften sowie erhöhte Planungssicherheit). Aber wenn er wirklich als „fair“ gelten soll, dann muss er den ProduzentInnen existenzsichernde Einkommen garantieren. Das darf nicht noch einmal 25 Jahre dauern.JOHANNES SCHORLING, Berlin

Marktgerechte Studiengänge

betr.: „Die neue, alte FDP“, taz vom 16. 5. 17

Die FDP plant für NRW die Wiedereinführung von Studiengebühren. Eine Sendung von Arte am 16. 5. 2017 verdeutlichte die Folgen solcher Gebühren und der zunehmend ökonomischen Orientierung der amerikanischen und auch britischen Hochschulen. Im Gefolge dieser Sendung antwortete die Präsidentin des Deutschen Akademischen Auslandsdiensts (DAAD), Frau Prof. Wintermantel, auf Fragen. Sie stellte dabei in keiner Weise die grundsätzliche Korrelation zwischen Hochschulbildung und Marktwert infrage. Dass bei uns jetzt 16.000 verschiedene, angeblich marktgerechte Studiengänge angeboten werden, macht die ehemalige Psychologieprofessorin offenbar eher stolz, sie wertet das als Ausweis der Bereitschaft, sich auf Wünsche der Arbeitgeber einzulassen. Auf den Vorhalt, dass die Arbeitgeber gerade eine nachlassende Allgemeinbildung der Absolventen beklagen, meint sie nur, schließlich müssten die Unternehmen selbst genügend Einarbeitungszeit einräumen.

Als ehemaliger Hochschullehrer für Chemie meine ich, dass ein Studium sich auf den späteren Beruf beziehen muss und halte die Jahrzehnte andauernde Unfähigkeit der juristischen Fakultäten in dieser Beziehung für einen Skandal – hier ist ein Regelabschluss ohne teure private Repetitorien immer noch nahezu unmöglich. Aber auch in den Naturwissenschaften gefährdet die zunehmende Fixierung auf wirtschaftliche Anwendungen und eine damit einhergehende marktorientierte Spezialisierung die Grundlagen einer erkenntnisgetriebenen Wissenschaft. Wer im Studium ständig und nur über seine späteren beruflichen Chancen nachdenken muss, verliert zwangsläufig jede Freude an Theorie, Analyse und Experimentieren. Auf die Weise verkommt die grundgesetzlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre zu einer Leerformel. HANS-JÖRG SCHNEIDER, Saarbrücken