: Gnadenlose Akustik
Selbstkritik NDR Elbphilharmonie Orchester will besser werden. Vielleicht ohne Chef Hengelbrock
„In diesem Saal hören Sie jede Kleinigkeit. Jede winzigste Ungenauigkeit im Zusammenspiel.“ Was Achim Dobschall, Manager des NDR Elbphilharmonie Orchesters, zur Bilanz der ersten Elbphilharmonie-Saison formulierte, war zwar für die Zuhörer nicht neu. Sie haben die gnadenlose Akustik des von Yasuhisa Toyota gestalteten Saals in jedem einzelnen Konzert erlebt.
Dass das aber pünktlich zur 100-Tage-Bilanz nach außen getragen und als „Herausforderung“ bezeichnet wurde; dass gar von „gestiegenen Ansprüchen an das Orchester, mit denen man umgehen lernen muss“ die Rede war: Diese Form der öffentlichen Selbstkritk des Elbphilharmonie-Residenzorchesters war so bemerkenswert wie die Tatsache, dass die Lösung noch nicht gefunden ist.
Derzeit nämlich, so Dobschall, habe das Orchester wegen eines Generationswechsels extrem viele Vakanzen. Man spielt also mit ständig wechselnden Aushilfen – was den persönlichen und musikalischen Zusammenhalt und den Flow eines Klangkörpers nicht gerade verbessert. Das Nachbesetzen der freien Musikerstellen wiederum dauert. „Die Bewerbungslage ist zwar sehr gut, aber das Orchester will hochkarätig nachbesetzen“, sagt Dobschall.
Das betrifft auch die Leitung. Denn noch ist unklar, ob der 2019 auslaufende Vertrag des Chefdirigenten Thomas Hengelbrock verlängert wird. Dass er Hengelbrock – der wegen Krankheit fehlte – unbedingt halten wolle, sagt Dobschall jedenfalls nicht. „Ob und in welchem Umfang man weiter zusammenarbeiten will, müssen beide Seiten gemeinsam aushandeln“, orakelt er.
In der Tat ist Hengelbrock – ursprünglich bekannt geworden durch Ausgrabungen und historisch informierte Aufführungen Alter Musik mit kleineren Ensembles – teils umstritten. Dass Schlagwerk und Blechbläser des NDR Elbphilharmonie Orchesters meist zu laut sind, ist eine unter Abonnenten verbreitete Klage; auch den oft unhomogenen Orchesterklang transportiert die Elbphilharmonie-Akustik schonungslos. Auch dass Hengelbrock sein Orchester trotz monatelanger Proben schlechter auf die Elbphilharmonie-Akustik abstimmte als etwa das durchreisende Chicago Symphony-Orchester, hat ihm nicht nur Freunde verschafft.
Und auch wenn Dobschall Hengelbrocks Engagement etwa für die Weiterführung der günstigen, „Konzerte für Hamburg“ preist: Auffällig ist es schon, dass er bald danach die vielen jungen Gastdirigenten der Saison 2017/2018 erwähnt, die man systematisch aufbauen wolle. „Wir sind sicher, dass Robin Ticciati, Rafael Payare und Pablo Heras-Casado in der Zukunft eine große Rolle spielen werden“, sagt er.
Die Karten für die kommende Saison werden übrigens am 12. Juni auf den Markt geworfen – allerdings gesammelt und nicht mehr in zeitversetzten Tranchen. Bei einem so riesigen Angebot, so glaubt Dobschall, „wird der Andrang nicht so groß sein, dass alle Server zusammenbrechen“. In der Vergangenheit sind die Elbphilharmonie-Kartenserver allerdings schon an kleineren Kontingenten gescheitert. Petra Schellen
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