Das Geld ist zum Greifen nah

300 LichtenbergerInnen besuchen die erste zentrale Versammlung zum Bürgerhaushalt. Ab sofort können alle BewohnerInnen Vorschläge machen, wie ein Teil des Bezirksetats verwendet werden soll

VON MARTIN KAUL

„Also, dass ihr euren Infostand mit ’ner roten Laterne schmückt!“, ruft die Kollegin Jürgen Schilhaneck zu und lacht. Vor ihm flackert ein rotes Baustellen-Signal. Ein großes Schild steht hinter dem Leiter der Gruppe Straßenaufsicht und -unterhaltung des Lichtenberger Bezirksamtes: „Straßenschäden“ steht darauf in fetten Buchstaben. Ein bisschen hat die Kollegin ja Recht. „Als ich vor 15 Jahren im Bezirksamt begonnen habe, hatten wir noch das Geld, um etwas zu gestalten“, sagt der 47-Jährige. Heute kennt er jedes Schlagloch in Lichtenberg. Und er kennt das Gemecker der BürgerInnen, denen die Behebung der Schäden nicht schnell genug geht.

Das können sie ändern, sie selbst, die Lichtenberger BürgerInnen. Sie sind eingeladen, sich auf den „Lichtenberger Weg“ zu machen, von dem ihre Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (Linkspartei.PDS) so gerne spricht, wenn sie eines der ehrgeizigsten Großstadtprojekte Deutschlands vorstellt: den Bürgerhaushalt Lichtenberg. Seit diesem Samstag dürfen sie mitbestimmen, ob die Löcher auf ihren Straßen gestopft gehören.

Rund 300 BürgerInnen sind in die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Altfriedrichsfelde gekommen, wo das Projekt Bürgerhaushalt erstmals in großem Rahmen vorgestellt wird. König von Lichtenberg – wie es der Internetauftritt des Bürgerhaushaltes ausmalt – will hier niemand werden. Aber mitmachen. „Ich bin ein ganz normaler Bürger und das will ich auch bleiben. Aber wenn ich dazu beitragen kann, dass das Geld sinnvoll eingesetzt wird, dann will ich das gerne tun“, sagt ein 74-jähriger Mann. Er ist gekommen, um zu erfahren, wo er seine Vorschläge einbringen kann. Vorschläge, wie man mehr kostenlose Stadtteilfeste durchführen, Sofort-Reparatur-Teams für den Straßenbau einsetzen oder mehr Geld für Jugendprojekte bereitstellen kann. Im Internet, direkt beim Bezirksamt oder auf einer der fünf dezentralen Stadtteilversammlungen, die jetzt im Oktober stattfinden, wird er sie einbringen können. Dort wird darüber beraten – gemeinsam mit anderen BürgerInnen.

Dort wird auch diskutiert, ob neue Bücher für die Bibliothek oder saubere Grünanlagen wichtiger sind, was also angesichts der Haushaltslage zu bevorzugen ist: Denn – das ist die Herausforderung, der sich nun auch die BürgerInnen stellen müssen – gemacht werden kann nur, was bezahlbar ist. Aber was bezahlbar ist und gewünscht wird, das soll die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) auch durchsetzen – und ihren BürgerInnen Rechenschaft ablegen.

In der Fachhochschule geht es erst mal nur um die Spielregeln der direkten Demokratie, um solide Informationen, damit der „Lichtenberger Weg“ ein Erfolgsweg werden kann – wie es etliche Beispiele in anderen Großstädten weltweit hoffen lassen. Da sind selbst vier Stunden Programm nicht zu holprig für die BürgerInnen, die sich eifrig auf ersten Teilnehmerlisten für die Stadteilversammlungen eintragen und schon mal zu diskutieren anfangen. Am Stand für Wirtschaftsförderung, für Jugend- und Seniorenförderung oder bei Jürgen Schilhaneck: Ob der Bordstein demnächst wirklich aus Naturmosaikstein sein und 51 Euro pro Quadratmeter kosten muss.

Oder ob es nicht auch Betonpflasterstein für nur 36 Euro pro Quadratmeter täte: Da blieben pro Quadratmeter Pflasterstein immerhin 15 Euro für Kinder- und Jugendprojekte übrig. „Und wer das mitdenkt“, sagt eine Frau, während am Stand der Straßenaufsicht die rote Laterne noch leuchtet, „der braucht kein Mosaik.“