Berliner Szenen: Old McDonald
Fup zieht aus
Fup schmettert „Old McDonald has a farm“. Und zwar laut, falsch und vor allen Dingen unaufhörlich. Er hat sogar eine Entschuldigung, denn sein Geigenlehrer hat ihm aufgetragen, das Lied und die Melodie auswendig zu lernen, damit er es dann auf der Geige ohne Notenblatt vor der Nase spielen kann.
Ich bin trotzdem genervt. Wie kann man nur so inbrünstig falsch brüllen? Und wieder: „Old McDonald has a farm …“ Es hört sich an wie eine rostige Kreissäge, die irgendein altes Blech zerkleinern will, jedenfalls stelle ich mir vor, dass sich so etwas auch nicht schlimmer anhört, irgendeine avantgardistische Klanginstallation, wo Misstöne sich über einen ergießen.
Wie konnte das passieren? Schon kurz nach der Geburt habe ich Fup jeden Abend Kinky Friedman vorgesungen. „Marilyn and Joe“, gemeint sind Marilyn Monroe und Joe DiMaggio, die amerikanische Version von Romeo und Julia, ein Liebeslied, mit dem ich ausprobieren wollte, ob ich ihn damit frühkindlich prägen kann, beziehungsweise wie sich ein solches regelmäßiges Einschlaflied wohl auswirken würde. Später habe ich aus Gründen der Abwechslung noch einen hinreißend poetischen Liedtext von Bob Dylan einstudiert: „In a lonely night, in a stardust of a pale blue light, I think of you in black and white, when we were made of dreams. I walk alone through the shaky street, listen to the my heart beat, in a record breaking heat, where we were born in time.“ Und dann bricht in des Stilles Glanz der kleine Fup mit Ententanz. „Old McDonald has a farm …“, kräht er. „Kannst du mal die Klappe halten?“, frage ich. Fup ist beleidigt. „Na gut, dann ziehe ich eben aus“, sagt er. „Aber iss vorher noch was“, sage ich. Endlich ist es ruhig. Als ich an seinem Zimmer vorbeigehe, sehe ich seine Klamotten auf einem Haufen liegen. „Papa, weißt du, wo mein Koffer ist?“
Klaus Bittermann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen