Kolumne Inselstatus: Wer gentrifziert hier eigentlich wen?
Eine afghanische Ladenbesitzerin wurde in Wilhelmsburg Ziel linker Gentrifizierungskritik. Die Läden weißer Zugezogener blieben verschont.
D ass der Zuzug von Studis und Kleinfamilien Stadtentwicklungsprozesse verursacht, ist normal. Dass es am 1. Mai in Wilhelmsburg zu einer Verwüstung mehrerer Geschäfte kam, ist aber Beleg dafür, dass es einige mit der Gentrifzierung zu ernst nehmen.
Wilhelmsburg, dieses urbane Labor, ist Zufluchtsort jener, die sich nach Neuköllner Flair sehnen, nach einer lebendigen Community, die auf den Straßen ihren Tee trinkt, mit Kindern, die bis abends draußen spielen – umgeben von schimmernder Industrieromantik. Seit Jahren zieht es Studierende auf die Insel unterhalb der Elbe, vor allem, weil man hier nicht wie auf St. Pauli 600 Euro für ein WG-Zimmer zahlt, bei dem am Ende besoffene Touris auf die Fensterscheiben pissen.
In einem Schreiben auf der Internetplatform Indymedia bekannten sich nun Menschen zu mehreren Angriffen am 1. Mai im Wilhemsburger Hotspot, der Veringstraße. Eine Bank wurde demoliert, weil kapitalistisch, ein Gemüseladen hat Steine abgekriegt, weil AKP-nah und ein Kumpir-Laden wurde beschmiert, weil Gentrifizierung. Die Aussage: „Ihr seid böse, wir sind besser“ – und auf jeden Fall gegen die Bank, bei der sie am Ende selber ihre Scheine einzahlen. Linker Politaktivismus also, den wir aus der Schanze kennen.
Dass die Aneignung des kurdischen Freiheitskampfes durch Steinwürfe in türkische Geschäfte die Kriminalisierung von Kurd*innen nur noch weiter vorantreibt, scheint den Aktivist*innen ebenso egal zu sein wie die Tatsache, dass der Kumpir-Laden von einer Familie betrieben wird, die seit Generationen in Wilhelmsburg wohnt. Was hat diese Familie gemacht? Die Besitzerin hat sich etwas angeeignet, und zwar das, was die Hippies im Viertel verursachen. Sie ist auf den Zug teurer werdender Mieten aufgesprungen und hat sich den Bedürfnissen der Bewohner*innen angepasst, die nicht immer nur Bock auf Döner und Börek haben. Mit Kartoffel-Snacks bedient sie deren Wünsche, um selber im urbanen Kampf zu überleben. Wer gentrifiziert hier also eigentlich wen?
ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt ab jetzt wöchentlich aus Wilhelmsburg über Spießer, Linke, Gentrifizierer und den urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.
Läden, die von weißen Zugezogenen eröffnet wurden, blieben verschont. Dass soll nicht heißen, dass sie die besseren Angriffsflächen böten, aber zeigt, dass die Wahllosigkeit der betroffenen Geschäfte am Ende niemand anderes trifft als die Wilhelmsburgerin, die eine teure Reinigung zahlen muss mit Geld, dass sie in der lokalen Bank nicht mehr abheben kann.
Die Besitzerin kommt ursprünglich aus Afghanistan. Dass sie als politisches Symbol des Untergangs von Wilhelmsburg hinhalten muss, hätte sie wahrscheinlich auch nicht gedacht, als sie ihren Laden öffnete. Vor allem weil in unmittelbarer Nähe bereits ein Café mit veganem Kuchen sowie ein linker Laden mit Fair-Fashion und Bioproduktion die Nachbarschaft schmückten.
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