Großer Mist

Fussball Bayer Leverkusen bleibt erstklassig, ansonsten läuft aber in dieser Saison fast alles schief – auch die Kommunikation mit dem gescheiterten Trainer. Die Konkurrenz erweist sich als deutlich innovationskräftiger

Hat irgendwie schon von seinem Vertragsende gehört: Tayfun Korkut bei seinem letzten Heimeinsatz Foto: dpa

Aus Leverkusen Daniel Theweleit

Es waren ziemlich ambivalente Gefühle, mit denen Stefan Kießling 20 Minuten nach dem Abpfiff in den Fluren der BayArena erschien – zum vielleicht letzten Mal als gefeierter Held. Der Stürmer war zuvor von den Fans mit viel Liebe überschüttet worden, er hatte den Klassenerhalt bejubelt und war hoch erfreut, gespürt zu haben, dass er mit seinen 33 Jahren immer noch in der Lage ist, eine Mannschaft als großer Anführer durch eine intensive Schlacht zu dirigieren.

„Das war ein Wahnsinnskampf und ein ordentlicher Abschluss“, sagte der Leverkusener Stürmer, nachdem sein Team ein 0:2 gegen den 1. FC Köln mit der besten Leistung seit Monaten noch in ein 2:2 verwandelt hatte. Aber es lag auch eine Portion Wehmut in den Worten Kießlings, denn möglicherweise hatte er sich gerade von einen Ort verabschiedet, an dem er während der vergangenen elf Jahre zum Publikumsliebling und zur prägenden Figur einer Erfolgsära geworden war. „Ich werde mir jetzt überlegen, ob ich überhaupt weitermache“, sagte Kießling, „diesen Mist, der hier in den letzten eineinhalb Jahren passiert ist, mache ich nicht mehr mit.“ Das klang einerseits nachdenklich, zugleich aber auch wie eine Drohung an einem Tag, an dem man das Schlimmste noch einmal abgewendet hatte.

Ähnlich konsterniert wie zuvor Sportchef Rudi Völler reagierte auch Kießling, als ihm vom Auftritt des Geschäftsführers Michael Schade berichtet wurde. „Ich weiß nicht mal, ob Tayfun Korkut hier Trainer bleibt“, hatte Kießling mit Blick auf seine Zukunft gesagt, die Zuhörer wussten da schon mehr. Denn wenige Minuten zuvor hatte Schade erklärt: „Es ist doch klar, dass es zum Saisonende zu einer Beendigung der Zusammenarbeit kommen wird.“

Inhaltlich war das keine Überraschung, schließlich hat Korkut nur eines von zehn Spielen gewonnen. Der 43-Jährige ist an der Aufgabe, Bayer in den Europa-Pokal zu führen, krachend gescheitert. Doch fast zeitgleich mit Schades Bekanntmachung hatte Sportchef Rudi Völler auf die Frage nach Korkut noch geantwortet: „Da gibt es keine Antwort, da wird es sicher Gespräche geben.“ Die schweren Defizite in der inneren Kommunikation, die zu den Ursachen für das Desaster dieses Spieljahres zählen, wurden wieder offensichtlich.

Auch der arme Korkut wirkte überrumpelt, „ich habe Informationen, aber ich habe sie noch nicht gesehen“, erwiderte er kryptisch, als jemand wissen wollte, wie er vom Ende seiner Zeit in Leverkusen erfahren hatte. In gewisser Weise war der Vorgang ein passender Abschluss für eine Saison, die massive Schäden hinterlassen hat.

Jahrelang hatte der Klub den Ruf, ein hervorragendes Sprungbrett für Karrieren bei Weltklubs wie dem FC Chelsea, Juventus Turin, Bayern München oder Real Madrid zu sein. Reihenweise junge Talente wie Arturo Vidal, Daniel Carvajal, André Schürrle, Heung-Min Son, Julian Brandt, Hakan Calhanoglu, Emre Can, Toni Kroos und viele mehr wurden von der Perspektive, sich hier in Ruhe auf Champions-League-Niveau etablieren zu können, an den Rhein gelockt. Seit einiger Zeit agiert Borussia Dortmund ebenfalls in dieser Nische und neuerdings auch RB Leipzig oder 1899 Hoffenheim. Drei Klubs, die von einer enormen Innovationskraft angetrieben werden, während Bayer Leverkusen mit dem immer grauer werdenden Rudi Völler und dem blassen Michael Schade irgendwie altbacken und recht einfallslos wirkt. Und die Champions League ist weiter weg denn je.

Mit Roger Schmidt konnte immerhin noch der Anschein aufrecht erhalten werden, ein besonderer Spielansatz würde Leverkusen dazu verhelfen, ganz oben mitzuhalten. Das ist sicher einer der Gründe, warum Völler viel zu lang an diesem Trainer festgehalten hat. Nun hat sich diese Illusion in Luft aufgelöst, und den Vorsprung, den Bayer durch ein ausgefeiltes Netzwerk auf dem internationalen Transfermarkt hatte, haben andere längst aufgeholt.