die taz vor drei jahren: vom schleichenden gang linksliberaler modernisierung
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Dass die Grünen gestärkt aus dem Wahlsonntag hervorgehen, ist ein ermutigendes Signal. Sie stehen für eine Ernsthaftigkeit im Umgang mit den Problemen des Gemeinwesens, gerade weil sie „nicht im engeren Sinn sozial gebundene Interessen“ (Axel Honneth) artikulieren – eine Ernsthaftigkeit, zu der die großen Volksparteien, die vielfältige Apparat- und Partikularinteressen austarieren müssen, gar nicht fähig sein können.

Und das sozialdemokratische „Milieu“? Zu fragen ist schon, wie stark die Beharrungskräfte der angeblich so unbeweglichen Apparate, der sozialdemokratischen Partei etwa oder der Gewerkschaften, tatsächlich sind. Schließlich existieren die auch nicht im luftleeren Raum, ja machen teils rasante Erfahrungsprozesse durch: etwa, wenn sie politische Bündnisse mit beweglichen zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Attac eingehen und sich deren Politikstil anpassen. Dies führt zu einer stetigen Transformation sozialer Interaktionsformen, die nicht ohne Folge auf die Perspektive bleibt, aus der die Welt betrachtet wird.

Eine Art „Projekt“ linksliberaler Modernisierung vollzieht sich längst, teils hinter unserem Rücken. Dieser Prozess ist nicht immer eindeutig, das erweist auch der Blick auf vergleichbar erfolgreiche Mitte-links-Regierungen, etwa auf die britische: da werden Elemente klassisch „rechter“ Politiken, etwa in Fragen der inneren Sicherheit, gepaart mit einer bemerkenswerten neuen Wiederauferstehung klassisch sozialdemokratischer Themen (Blairs etatistischer Schwenk in Hinblick auf die öffentlichen Dienste und Schröders Antikriegskurs). Die Wähler sind bereit, das zu goutieren, ja sogar Fehler zu verzeihen, wenn die handelnden Akteure nur glaubwürdig machen, dass sie ernsthaft um eine Perspektive kämpfen. Dann haben auch die rechten Populisten wenig zu melden. Denn deren Stunde schlägt nur, wenn sich auf Seiten der Linken Ideenlosigkeit mit Zynismus und Kraftlosigkeit paart. Robert Misik, taz vom 26. 9. 2002