„Bei uns tanzen nicht nur männliche Derwische“

SUFI-FESTIVAL Sie musizieren, tanzen und heilen dabei: Die Musik- und Bewegungstherapeuten Oruc und Azize Güvenc, die mehreren Sufi-Orden angehören, führen am Wochenende auf einem Festival in Hamburg vor, wie Töne auf Organe und Gefühle wirken

■ ist Ergo-, Musik- und Bewegungstherapeutin. Sie stammt aus Essen und lebt seit 1999 mit ihrem Mann und Berufskollegen Oruc Güvenc in der Türkei.Foto: Promo

taz: Frau Güvenic, sind Sie Sufi?

Azize Andrea Güvenic: Ja. Ich habe das Sufitum 1994 über den Sufimeister Oruc Güvenc kennengelernt. Inzwischen sind wir verheiratet.

Sind Sie zum Islam konvertiert?

Eine schwierige Frage. Ich bin auf einer deutschen katholischen Klosterschule groß geworden, und mit 27 aus der Kirche ausgetreten. Ich habe immer nach einem spirituellen Weg gesucht. Dann tauchte das Sufitum auf, und ich habe es im Rahmen einer 40-tägigen Fastenklausur angetestet. Es gefiel mir, und ich fing an, Sufi-Literatur und den Koran zu lesen, bin zu Seminaren über altorientalische Musik- und Bewegungstherapie gefahren. Deren Verbindung von Therapie und Spiritualität hat mich als Ergotherapeutin fasziniert.

Was bieten Sie und Ihr Mann auf Ihren Tourneen?

Wir geben Seminare, Konferenzen und Konzerte, in denen wir altorientalische spirituelle Musik- und Bewegungstherapie präsentieren. Außerdem behandelt wir Patienten.

Worauf fußen Ihre Rezepte?

In der alten Tradition des Orients wurde das meiste mündlich überliefert. Einiges ist allerdings schriftlich fixiert – etwa, welche Tonart auf welches Organ wirkt. Da gibt es klare Klassifikationen, die wir auch so anwenden.

Und die wirken?

Es gibt interessante Versuche: Ein Wiener Professor hat vor zehn Jahren Wachkoma-Patienten mit altorientalischer Musik behandelt. Viele von ihnen sind wieder aufgewacht und ins Leben zurückgekommen. Das EEG zeigte allerdings, dass der Patient in einen Trance-Zustand überging. Genau darauf zielt die altorientalische, pentatonische Heilmusik, die auf nicht westlichen Tonarten basiert.

Können Sie bestimmte Krankheiten sicher heilen?

Wir geben keine Prognosen. Sicher ist, dass diese Musik in einen Entspannungszustand führt, der das Immunsystem stabilisiert und Selbstheilungskräfte aktiviert. Voriges Jahr haben wir zum Beispiel an der Ankaraer Uniklinik mit einem Patienten gearbeitet, der unter einer chronischen schmerzhaften Infektion im Halsbereich litt. Für ihn haben wir eine Tonart ausgewählt, von der man weiß, dass sie Schmerzen lindern oder beseitigen kann. Wir haben ungefähr eine halbe Stunde auf verschiedenen Instrumenten gespielt. Danach war er schmerzfrei. Das kann, muss aber nicht passieren.

War er dauerhaft geheilt?

Da wir viel reisen, können wir das leider nicht verfolgen.

Sind Sie nach diesen Erfahrungen inzwischen selbst Muslima?

Ich bin auf der Suche nach Gott und dem Spirituellen und finde viele Dinge, die ich im islamischen Sufitum kennengelernt habe, sehr praktikabel. Es gibt Meditationstechniken, die man in den Alltag integrieren kann.

Muss man Muslim sein, um einem Sufi-Orden beizutreten?

Nein. Das Wort „Sufismus“ bezeichnet mystische Strömungen, die es in jeder Religion gibt.

Können Sie als Frau überhaupt Sufi sein?

Ja. Auch der Koran beschwört die Gleichheit von Mann und Frau auf dem spirituellen Weg.

Warum sind die meisten Derwisch-Tänzer männlich?

Dies ist durch den arabischen Islam hineingekommen, der stark zwischen den Geschlechtern trennt. In den Strömungen, denen mein Mann und ich angehören, tanzen wir alle. INTERVIEW: PS

Festival: 14.–19. 11. in Hamburg, Programm: www.tumata.com