konzert: Benjamin Moldenhauer über Digger Barnes im Lagerhaus: Erinnerung an eine bessere Zukunft
Die gegenwärtige Popmusik ist in weiten Teilen von einem auffälligen Drall Richtung Vergangenheit bestimmt. Weil es damals wirklich schöner war oder weil die Formen und Genres alle rückstandslos definiert und ausdifferenziert sind, es lässt sich schwer entscheiden. Oder besser: Die Entscheidung hängt von der Tagesform ab – ist man guter Dinge, verzeiht man auch Repetition und unermüdliches Durchnudeln von allseits Bekanntem und freut sich über Hommage, Ironisierung oder schlichtes Reenactment. Wenn es schlecht läuft, spürt man, dass die Zukunft früher auch besser war.
Die schlüssigste Antwort auf die Frage, warum der Pop der Gegenwart sich derart auf die Vergangenheit fixiert, hat der Anfang des Jahres verstorbene Kulturtheoretiker Mark Fisher in seinem Buch „Gespenster meines Lebens“ formuliert: Weil die Versprechen der Musik von damals uneingelöst blieben, geistern die Formen von damals durch die Gegenwart, als nicht realisierte Hoffnungen auf eine schönere, freiere, erfüllte Zukunft.Das Versprechen, das man gemeinhin mit Americana, dem Amalgam aus Folk, Country, Blues und Artverwandtem, assoziiert, ist das Versprechen auf Ortlosigkeit und ein vielleicht nicht ungebrochen gutes, aber intensives Leben in Freiheit, mit höchstens temporären sozialen Bindungen. Der Hamburger Kay Buchheim beschwört als Digger Barnes auf seinem vierten Album „Near Exit 27“ die dazugehörigen großen Themen des American Songbook – die verlorene Liebe, den Teufel, den Fluss und, vor allem, die Straße. Die zentrale Figur dieser Erzählung ist der Einzelgänger, der das Land durchstreift und sein eigener, einziger Maßstab ist. Damit stellt sich Digger Barnes in eine altehrwürdige Tradition – „I shot a man in Reno / just to watch him die“, sang Johnny Cash, und man glaubte es ihm aufs Wort, auch wenn es nicht stimmte. Die Referenzen werden ausgestellt und nicht verborgen: Neuere Varianten von Americana werden aufgerufen, Calexico, die sonore Stimme des Lambchop-Sängers Kurt Wagner, Woven Hand vor allem, allerdings ohne das religiös Wahnhafte. Damit zielt Digger Barnes nicht auf die Behauptung von Authentizität, sondern inszeniert das Genre als Live-Roadmovie. Der Maler und Videokünstler Pencil Quincey hat für die „Diamond Road Show“ eine Projektionsmaschine gebastelt, die Bilder auftauchen und wieder verschwinden lässt, auf denen sich die Archetypen tummeln – Cartoon-Figuren, Landschaftsbilder, alles wirkt irgendwie antiquarisch, aber nicht antiquiert. Die Filme gleichen sich dem musikalischen Gestus an. Die Bilder sind mit der Patina des Alten versehen, und der Grund für die Wehmut dieser Musik ist hier nicht nur der besungene Mensch, den man verloren hat, sondern das Gefühl der Rastlosigkeit, das zugleich immer wieder beschworen und in einfachen Songzeilen gefeiert wird: „I tried to settle down / every now and then / but I am a travelling man“.
Wie Bilder und Songs hier ineinandergreifen, ist schon sehr berückend. Digger Barnes – dessen Cartoon-Alter-ego äußerlich an die Sheriff-Figur aus der HBO-Serie „Deadwood“ erinnert – singt mit sonorer Stimme und hörbarem Akzent. Die Reinszenierung verbirgt in angenehmer Weise nicht, dass sie eben das ist, eine Wiederaufführung. Während die Digger-Barnes-Platten gerade in ihrer Stilsicherheit immer etwas spannungsarm wirken, entfaltet der Konzert/Kino-Hybrid, den Kay Buchheim und Pencil Quincey entwickelt haben, an guten Abenden einen veritablen Sog.
Konzert: Freitag, 19. 5.,21 Uhr, Schwankhalle
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