BERLINER LUFT
: Wie Möllemann

Als ich ihn nach dem 9. 11. fragte, lachte er

Der Fernseher berichtete von den Feiern zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls. Ich war ein bisschen traurig, weil ich nicht am Brandenburger Tor war. Warum hatte ich nicht versucht, irgendjemanden zu überreden, mit mir dorthin zu gehen? Warum hatte ich nicht K. angerufen?

Vor 20 Jahren war sie sozusagen mein Schabowski gewesen; später hatten wir uns unter die Menschen gemischt, die zum Brandenburger Tor gezogen waren. Und wenn ich niemanden gefunden hätte, um mich zu begleiten – mir fiel tatsächlich niemand ein –, hätte ich immer noch als Journalist hingehen können, um etwas zu schreiben. Zum Beispiel, dass das Lied von der Berliner Luft dem Anlass angemessen war, denn die Nacht des 9. 11. 89 war ja auch ziemlich prollig gewesen. Mit vielen Leuten, die aussahen wie Möllemann und einen küssen wollten.

Stattdessen tippte ich einen Text, den Freund M. handschriftlich über den Rückzug öffentlicher Träger aus der Kinder- und Jugendhilfe geschrieben hatte. Konsequent penetrant hatte er die verachtenswerten Moden der Verwaltungssprache denunziert, indem er hinter jedes „Angebot“ in Klammern „Produkt“ gesetzt hatte. Zum Beispiel: „Der Senat teilt den Bezirken für ihre Angebote („Produkte“) im Kinder- und Jugendbereich Geldmittel zu. Diese Angebote („Produkte“) sind nach den Paragraphen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) verpflichtend.“

Später waren wir flippern. Das Flippern war irgendwie langweilig. Es war komisch, auch weil M., der sich früher nur von Hasch und Bier ernährt hatte, nicht mehr kiffte und nicht mehr trank. Dann saßen wir noch ein bisschen bei M.s Freund, einem Ex-Maoisten und Militärseelsorger. Er erzählte, dass sich beim Bund alle gefreut hätten, als Jung sein Amt niederlegte und „Gutti“ seines antrat. Als ich ihn nach dem 9. November fragte, lachte er nur wegwerfend.

DETLEF KUHLBRODT