LeserInnenbriefe

Eine neue Sprache gefunden

betr.:Als wir den Sex verloren“, taz vom 29./30. 4./1. 5. 17

Wie mutig, so offen über die eigene Sexualität zu schreiben. Ihr holt damit dieses uns alle betreffende Thema ein weiteres Stück aus der Tabuzone. Wie auch schon in vorausgegangenen taz-Artikeln über Sexualität und Erotik stellen wir fest, dass sich die Sprache zu diesem menschlichen Grundthema verändert. Von der Tabuisierung, dem Nichtsprechen in der Öffentlichkeit wie im Privaten der Vor-68er, über die Vulgärsprache der 68er (ficken, vögeln, bumsen …) findet sich in diesen Artikeln eine Sprache wieder, die den ganzen Menschen über den Geschlechtsakt hinaus in den Blick nimmt. Mit dieser Achtsamkeit, Offenheit und dem Aufräumen von geschlechtsspezifischen Zuordnungen und Klischees, die euren Artikel auszeichnen, begründet ihr einen neuen Diskurs über Sexualität, der mich erreicht und betrifft – und sicher auch viele andere Leser und Leserinnen.

BARBARA RÖSER, Bad Schwalbach

Er braucht nicht, was sie braucht

betr.:Als wir den Sex verloren“, taz vom 29./30. 4./1. 5. 17

Wer die Grundlagen der „Liebes“ökonomie nicht benennt, kann schwerlich zu Lösungen kommen: It’s about economy, stupid!

Mit Verweis auf den Wikipedia-Eintrag zum Thema Orgasmus – und aus eigener Erfahrung – sehe ich den zentralen Aspekt in der biologisch unterschiedlichen Anlage der Sexualität bei Mann und Frau. Verkürzt und stark verallgemeinernd gesagt, der Mann kommt schnell, und es folgt dann die sogenannte Refraktärzeit. Die Frau jedoch benötigt in der Regel ein längeres Liebesspiel, um zu ihrem/n Höhepunkt/en zu kommen. Dies ist von der Natur – leider? – so vorgesehen. Ein längeres Liebesspiel dient in der Regel auch dem Orgasmus des Mannes, aber er „benötigt“ dieses nicht! Und hier liegt das Problem: Er hat oft keine Lust auf ein über seine eigenen Bedürfnisse hinausgehendes Liebesspiel. Sprich, an manchen Tagen würde er das Bier vom Kiosk ums Eck seinem Lieblingswein von der entfernter liegenden Weinhandlung vorziehen.

Waren es früher die Frauen, die keine Lust auf Sex hatten, so „kneift“ heute der Mann. Dies ist wahrscheinlich, und wie im Beitrag erwähnt, vor allem darauf zurückzuführen, dass es dem Mann früher egal war, ob die Frau einen Orgasmus hatte oder diesen nur vorgetäuscht hat, wohingegen der Mann heute über ein Bewusstsein hierüber verfügt und seine Sexualpartnerin auch zu ihrer Befriedigung kommen lassen will. Um bei obigem Beispiel zu bleiben: Da das Bier vom Kiosk nicht p.c. ist, verzichtet er lieber ganz. Und was folgt hieraus? Eine Kongruenz der sexuellen Bedürfnisse wird es wohl nie dauerhaft geben, und somit bleibt der Ausgleich eine ständige Herausforderung – zumindest in heterosexuell monogamen Beziehungen.

HERBERT SASSE, Berlin

Die Geheimnisse der Polizei

betr.: „Die Unberührbaren“, taz vom 27. 4. 17

Die Tendenz Ihres Artikels zur weiteren inneren Aufrüstung von Polizei und Sicherheitsbehörden verdient, neben vorbehaltloser Unterstützung, eine noch dezidiertere Argumentation:

„Symbolpolitik“ enthält eine sich selbst verstärkende Eskalation sowie den programmierten Versprechensbruch. Ein prominenter Polizeiforscher der USA spricht von dem „bestgehüteten Geheimnis der Polizei“: dass die Polizei nachhaltige Reduktion des Verbrechens bewirken könne.

„Making crime pay“ – diese Titelbotschaft einer der besten Forschungen über die paradoxe Verkehrung des guten Willens in sein Gegenteil, gerade auf diesem Politikfeld, haben die meisten relevanten Akteure besser verinnerlicht als alles andere. Dass die viel beschworene erhöhte „Sensibilisierung“ der Bevölkerung gegenüber der Kriminalität – freilich mehr gegenüber „crime in the streets“ als „crime in (hotel) suites“ – keine naturgegebene, sondern eine durchaus „fabrizierte“ ist, gehört wohl zum aufgeklärten Wissen. In Ihrem Artikels sind – allerdings ohne wechselseitige Bezugnahme – die beiden Politikbereiche angesprochen, die nach einer Art „kommunizierender Röhren“ in wechselseitiger Abhängigkeit zu stehen scheinen: Die erstrebte „Unberührbarkeit“ der Polizei ist in einer reziproken Weise die Kehrseite des „Märchens vom sozialen Europa“, wie die zu Recht getroffene de Maizière’sche Beobachtung über die „Verrohung“ der Gesellschaft und ihre weithin akzeptierte und voranschreitende „neoliberale“ Durchdringung. FRITZ SACK, Berlin

Le Pen = Neoliberal + Zugabe

betr.: „Wohl oder übel“, taz vom 28. 4. 17

Das kann doch nicht wahr sein: Da besteht die Gefahr eines Wahlsieges der rechtsradikalen Le Pen, und viele Linke in Frankreich sagen: Ich gebe keine Wahlempfehlung für Macron, weil Macron eine neoliberale Wirtschaftspolitik machen würde. Stimmt, das wird er tun. Aber was würde der Sieg Le Pens bedeuten? Eine verschärfte neoliberale Wirtschaftspolitik „mit Zugabe“! Le Pen vertritt den schrittweisen Abbau der Demokratie, die Verachtung und Ausgrenzung von Andersdenkenden und ausländischen Menschen und die forcierte Zerstörung des europäischen Projekts. Nach fünf Jahren Macron würde Le Pen durch seine Wirtschaftspolitik die nächste Wahl 2022 wahrscheinlich deutlich gewinnen? Stimmt: Die Gefahr ist sicher groß, aber dann lieber jetzt schon Le Pen? Nicht doch besser fünf Jahre unter Macron die noch vorhandenen Spielräume im Sinne einer linken Politik nutzen, liebe französische Linke? Österreich und die Niederlande haben verstanden und gezeigt, wie es gehen kann. THOMAS SCHÖNBERGER, Hamburg