Leuchten der MenschheitBarbara Bollwahn : Die Frau Lärche von der Stasi
Es hat Seltenheitswert, dass sich ehemalige Stasi-Mitarbeiter kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Deshalb ist die im Campus Verlag erschienene soziologische Studie über hauptamtliche Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes, „Im Dienst der Staatssicherheit“, von Interesse. Diese zum Sprechen zu bringen, heißt es im Vorwort, „gehört zu den schwierigsten Unterfangen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der DDR“. Die vier Autoren haben 72 interviewt, um herauszufinden, wie sie ihre Tätigkeit erlebt und das Ende ihrer Arbeit verarbeitet haben, wie sie heute darüber denken.
Nicht alle Gespräche wurden abgedruckt. Einige wurden aussortiert – wegen Alkoholeinfluss, psychischer Pathologie oder leiser Stimme. Mit den Gesprächen, bei denen die Befragten nicht ihre Klarnamen, sondern Namen von Bäumen tragen, Herr Eibe, Frau Lärche etc., soll ein „erster Zugang zu der bis heute weitgehend verborgen gebliebenen Welt“ hergestellt werden. Bei den Befragten handelt es sich sowohl um ältere Jahrgänge, die „resignativ Passive“ genannt werden, als auch um „leistungsorientierte Pragmatiker“ mit beruflichem Neuanfang. Die meisten gaben an, erstmals mit Fremden über ihre Biografie zu sprechen. Doch das Ergebnis ist enttäuschend. Viele Äußerungen zeugen von einer fehlenden Auseinandersetzung. „Ich würde jederzeit wieder so für die DDR einstehen, wie ich das gemacht habe.“ „Der 3. Oktober war für mich eine Enttäuschung. Ich hab’s vorgezogen, mit meiner Frau in den Wald zu gehen, um Pilze zu suchen.“ „Ich hab’s mir nicht rausgesucht. Ich lebe jetzt hier – sagen wir mal so.“ Nur einer sagt: „Für mich war eigentlich der 9. November wie ein Tag der Befreiung.“
Die Autoren resümieren, dass das die Vermutung nahelege, dass „hinter den Artikulationsschwierigkeiten, Erzählblockaden und Erinnerungslücken“ ein „noch nicht bewältigtes biografisches Problem“ stecke. Einigen Gesprächen sei anzumerken gewesen, dass „phasenweise ein eingeübtes Script abgespult wurde“. Und auch manch Zusammenfassung der Autoren liest sich wie ein DDR-Relikt: „Zugleich ist er bemüht, sich mit dem MfS und seiner Tätigkeit im DDR-Geheimdienst auseinanderzusetzen.“
Barbara Bollwahnist Autorin in Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen