Aufbruch von der Insel

DIE ZWEITE REIHE Die CDU ist nicht mehr die Alte. Das liegt an Senatoren wie Mario Czaja

Er sehe nicht, dass die CDU-Frauen in Führungspositionen drängten, sagt Czaja

VON STEFAN ALBERTI

Der junge Mann war ein Fremder im Zehlendorfer Rathaussaal. Seinen Parteifreunden von der örtlichen CDU war er kaum näher als der Grüne neben ihm auf dem Podium. Das lag an seiner Herkunft: Mario Czaja kommt aus Marzahn-Hellersdorf, und für viele im Publikum war das ganz weit weg, gefühlt kurz vor Wladiwostok. Czajas Mission an diesem Abend: geduldig aufzuklären, wie Berlins Osten tickt – und dass er sogar mit S- und U-Bahn erreichbar ist.

Ein Jahrzehnt später ist der damalige Außenseiter Senator für Gesundheit und Soziales – und ein Aushängeschild der Christdemokraten. Zusammen mit Thomas Heilmann als Senator für Justiz und Verbraucherschutz verkörpert Czaja den Aufbruch der alten Frontstadt-CDU in Richtung moderne Großstadtpartei. Zumal Parteichef und Innensenator Frank Henkel nach dem Rücktritt der Verfassungsschutzchefin schwer angeschlagen ist. Seine Schwäche macht die Senatoren neben ihm umso stärker.

Aber was ist wirklich dran am gelifteten CDU-Image? Die Suche nach Antworten beginnt beim politischen Gegner. Von den Grünen bekam Czaja gerade erst Lob für seine Reaktion auf das Auftreten tödlicher Keime in der Frühgeborenenstation der Charité. Fraktionschefin Ramona Pop macht an Personen wie dem Gesundheitssenator einen Aufbruch fest. „Die Berliner CDU bemüht sich durchaus um Erneuerung“, sagt sie. Personell sei das mit Czaja und anderen sichtbar. „Sie ist nicht mehr die Landowski-CDU, aber auch noch lange nicht runderneuert.“ Die „Landowski-CDU“ steht für den Bankenskandal – und für ungebremstes Schuldenanhäufen im Einvernehmen mit der SPD.

Keine Veränderung sieht Pop in der Innenpolitik. Hier habe ein Hardliner den anderen abgelöst. Erst der Kreuzberger Linkenschreck Kurt Wansner, dann Frank Henkel, der heutige Innensenator und Parteichef, dann der aktuelle innenpolitische Sprecher Robbin Juhnke: Alle gaben sie den Law-and-Order-Mann. Zuletzt provozierte Juhnke mit dem Spruch, jene, die über die NSU-Affäre am lautesten klagten, liefen selbst „mit dem Benzinkanister“ herum. Nach außen hat sich die CDU-Fraktion nicht von dieser Äußerung distanziert, intern reichten die Reaktionen von Verärgerung bis zu „Klare Kante zeigen ist wichtig“.

Gemischtes Bild

Auch bei der Integrationspolitik ist das Bild gemischt. Man habe sich doch bewegt, sagen viele in der CDU. Sie verweisen auf ein Papier von 2010, das gerne mit dem Attribut „viel beachtet“ belegt wird. Tatsächlich war darin erstmals von einer Kultur des Willkommens die Rede. Zu Doppelpass oder erweitertem Ausländerwahlrecht konnte sich die Partei aber nicht durchringen.

Offenbar lebt die Modernisierung der CDU weniger von einer Erneuerung des Programms als von ihren neuen Aushängeschildern. Senator Heilmann schafft es dabei, selbst auf dem wenig medienwirksamen Feld der Justizpolitik für die CDU zu punkten, während frühere Justizsenatoren meist nur bei Problemen in den Medien auftauchten.

Wobei: Gab es das tatsächlich noch nie, dynamische, jüngere Exponenten des liberalen Flügels der CDU im Senat? Die Frage führt in ein Bürogebäude in der Nähe des Gendarmenmarkts, zum Bundesverband der Abfallbranche. Ihr Chef hatte vor über zehn Jahren die Czaja-Rolle inne: Peter Kurth gab der CDU ein jugendliches Gesicht, war eloquent und liberal, als er 1999 mit Ende 30 Finanzsenator wurde.

Alles also schon mal da gewesen. Aber Kurth war bald wieder weg vom Fenster, nachdem er 2003 vergeblich versucht hatte, Fraktions- und Parteichef zu werden. Heute will er mit der Landespolitik abgeschlossen haben, zur aktuellen Lage der Partei mag er nicht viel sagen. Nur so viel: Landeschef Henkel habe sie weitgehend befriedet. Und liberalen Input habe es schon in den Achtzigern unter Richard von Weizsäcker als Regierendem gegeben.

Zwei Kilometer weiter, in der Kreuzberger Oranienstraße, hängt moderne Kunst an den Wänden des Büros von Mario Czaja. Der 37-Jährige hat mit Gesundheit und Sozialem zwei Ressorts übernommen, die neuneinhalb Jahre in der Hand der Linkspartei lagen. Das, was Außenstehende als Landowski-CDU bezeichnen, ist für ihn eine „Insel-CDU“: eine von einem kleinen Kreis im Berliner Westen geführte Partei, durchaus mit Interesse am Osten, aber ohne Verankerung dort.

Noch weit entfernt ist die Berliner CDU von Gleichstellung. Es gelinge der Partei nicht, Frauen adäquat in Führungspositionen zu bringen, räumt Czaja ein. Er habe bei Besuchen in Ortsverbänden auch nicht das Gefühl, dass Frauen in Führungspositionen drängten. Die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters hält seit gut einem Jahrzehnt einsam die Stellung, als einzige Frau in der engeren CDU-Führung. Die Fraktion hat zwar eine erste stellvertretende Vorsitzende, aber der ohnehin magere Frauenanteil ist weiter gesunken. Schon in der vergangenen Wahlperiode waren nur sechs von 37 Abgeordneten weiblich. Jetzt sind es vier von 38 – 10,5 Prozent.

Die Spurensuche endet bei einem, der vor zehn Jahren wenig Nettes über Mario Czaja sagte. Kurt Wansner, CDU-Chef von Kreuzberg, kritisierte den Mann aus Hellersdorf, weil der im Bezirk Kontakte zur PDS pflegte, der heutigen Linkspartei. Es sei nicht zu befürchten, das Czajas Positionen in der CDU mehrheitsfähig würden, so Wansner damals. Heute sagt er, es spreche doch für die Volkspartei CDU, wenn dort für ihn genauso Platz sei wie für Czaja. Und schiebt dann hinterher, dass er die Linke immer noch nicht für eine demokratische Partei hält.

Dass ein Czaja trotz der Wansners in seiner Partei aufsteigen konnte, hat weniger mit innerer Erneuerung als mit einer gewissen Einsicht zu tun: Am sympathischen Vorzeige-Ossi kam die Union eben nicht vorbei, als die Senatsposten verteilt wurden. Heilmann wiederum kam nur in den Senat, weil der gerade zum Justizsenator ernannte Michael Braun über die Schrottimmobilienaffäre stürzte.

Wie sagen Parteienforscher: Die Leute wählen Personen, nicht Programme. Und mit diesen Personen fährt die CDU zurzeit in Umfragen erstmals seit zweieinhalb Jahren die meisten Stimmen ein.