Wortwechsel
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Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Patriotismus – wofür denn?

Arme Nation Die Leitkulturdebatte treibt viele auf die Palme. Ist Deutschland wirklich so scheiße? Und was hat Friedrich II. zur Leitkultur gesagt?

Hände schütteln! Sofort! Foto: mauritius

Drei Tornados

betr.: „Es ging noch nie so vielen so gut wie jetzt“, taz vom 27. 4. 17

Rein zufällig ist mir gestern die alte LP „Erste Unterstützungsplatte für das Projekt einer linken Tageszeitung“ wieder zwischen die Finger geraten. Ich habe die alten Lieder gehört, den Tageszeitungssketch der „Drei Tornados“, habe die guten Wünsche und Hoffnungen von Fritz Teufel gelesen. Und heute lese ich ein ganzseitiges Interview mit Wolfgang Kubicki in der taz. Und merke wieder einmal, wie weit ihr euch von den Wünschen und Träumen, die wir damals hatten, entfernt habt. Kommen solche Politiker nicht in der „bürgerlichen Presse“ ausreichend zu Wort? Wie wäre es, statt solcher Interviews wieder eine tägliche Seite ins Leben zu rufen, die von linken Projekten, Veranstaltungen und Ähnlichem berichtet? Schade, dass ihr euch von euren ursprünglichen Zielen genauso weit entfernt habt, wie die Grünen es getan haben.

FRIEDHELM WENNING, Münster

Armutsdefinitionen

betr.: „Es ging noch nie so vielen so gut wie jetzt“, taz vom 27. 4. 17

Trotz aller Bemühung um Konzilianz zeigt sich der neoliberale Geist deutlich: Mit Armut hat die Welt der FDP natürlich keine Berührungspunkte, also muss Kubicki wohl glauben, dass es noch nie so vielen so gut ging wie jetzt. Für ihn ist Armut nur eine fragwürdige Definition. Leiharbeit, Lohndumping, befristete Arbeitsverträge, Altersarmut – so etwas kommt im FDP-Universum nicht vor. Und spätestens wenn das Mantra kommt, es müsse erst „etwas erwirtschaftet werden, bevor man es verteilt“, weiß man schon, wohin der Hase läuft. Dabei denkt Kubicki sicher nicht über leistungslosen Vermögenszuwachs nach oder an die „Gewinnmitnahmen“ von Investoren an der Börse.

KLAUS-ULRICH BLUMENSTOCK, Stuttgart

Tafelschlangen

betr.: „Es ging noch nie so vielen so gut wie jetzt“, taz vom 27. 4.

Ja, es ging noch nie so vielen so gut wie jetzt – schön, dass Herr Kubicki gleich die Vergangenheitsform bemüht. Es geht nämlich vielen so schlecht wie noch nie zuvor – trotz immenser Unternehmensgewinne. Vielleicht sollte Herr Kubicki einmal da, wo er anscheinend sonst immer möglichst schnell vorbeifährt, anhalten und sich ansehen, wie lang die Schlangen vor einer Ausgabestelle einer Tafel werden können. Das sind übrigens die „ausreichend starken Systeme“, von denen der Herr Anwalt fabuliert. Nur dass diese nicht vom Staat kommen, sondern von der Gesellschaft. In der Regel gestützt von vielen ehrenamtlichen Helfern, die ebenfalls unter der Armutsgrenze leben.

UDO SIEBRASSE, Gelsenkirchen

Patriotismus?!

betr.: „Einmal Leitkultur mit alles, bitte“, taz vom 2. 5. 17

Vor allem die These acht, „wir sind alle aufgeklärte Patrioten“, bringt mich richtig auf die Palme. Ich soll Patriot sein? Mit wem oder für was? Mit einer Regierung, die mit Saudi-Arabien ein Abkommen trifft, dass die Bundeswehr Offiziere der saudischen Armee ausbildet – einer Armee, die in den benachbarten Ländern Krieg gegen die Zivilbevölkerung führt? Patriotisch mit einer Regierung, die zulassen will, dass eine deutsche Rüstungsfirma eine Panzerfabrik in der Türkei aufbaut, damit diese Panzer gegen die dortigen Kurden und gegen die Kurden in den Nachbarländern eingesetzt werden können? Patriotisch mit einer Regierung, die Passagen, die ihr nicht passen, aus dem Armutsbericht streicht, um ihre Verstrickung mit den Reichen des Landes nicht offenlegen zu müssen? Patriot für eine Regierung, die auf Kosten der Bevölkerung einen Abgasskandal ­toleriert? Patriot mit CDU und CSU, die seit Jahren ein Kommunalwahlrecht für türkische Mitbürger verweigern – was allen ausländischen, in Deutschland lebenden EU-Bürgern zugestanden wird? Was gerade für eine Integration mehr als hinderlich ist? Mein Fazit: Gerade weil ich mich aufgeklärt fühle, kann ich kein Patriot sein, denn sonst wäre ich lediglich ein Jasager, und wo das hinführt, hat unsere Geschichte deutlich gezeigt. Also ist es notwendig, gegen diese autoritären Thesen Stellung zu beziehen und, wie das die Autoren dieses Artikels tun, auf unser Grundgesetz und die Menschenrechte zu verweisen.

ALBERT WAGNER, Bochum

Kritisch, knackig ...

betr.: „Die Schaufel im Arsch des Todes“ taz vom 29./30. 4. 17

Das ist einer der Artikel, für die ich die taz liebe! Kritisch, knackig, klug! GABRIELE KERSTING, Bestwig

Integration wohin?

betr.: „Weltfremde Parteifolkore“, taz.de vom 1. 5. 17

„Es geht nicht mehr um die Nation und die Gemeinschaft, in die man hineingeboren wird.“ Mal eine Frage: In was soll „Integration“ dann erfolgen?! JENS FRISCH auf taz.de

In die Gesellschaft!

betr.: „Weltfremde Parteifolkore“, taz.de vom 1. 5. 17

@Jens Frisch: Wahrscheinlich in die Gesellschaft (in Abgrenzung zur Gemeinschaft). DHIMITRY auf taz.de

Provinz Porsche

betr.: „Deutschland, mach dich sexy!“, taz vom 3. 5. 17

Liebe Frau Yaghoobifarah, ich habe das schon verstanden: Deutschland ist scheiße, weiße Deutsche besonders, und weiße deutsche Männer sind die schlimmsten. Ich fühle mich auch jedes Mal angemessen schlecht und stellvertretend für die Gesellschaft schuldig, wenn ich Ihre Texte lese, denn sie erinnern mich daran, dass Deutschland (strukturell, wir sind so!) und weiße Männer (persönlich) allein dafür verantwortlich sind, wenn’s in Sachen Integration und auch ansonsten hapert. Spießig und lustfeindlich sind wir sowieso – wobei ich mich schon frage, woher Sie mich eigentlich so genau kennen? Neu war für mich aber wirklich, dass unglamourös zu sein (also mit Ihren Worten keinen SUV oder Porsche fahren) jetzt auch provinziell und rückständig ist und nicht etwa bescheiden und nachhaltig – aber ich lerne dazu! Überraschend ist für mich auch, dass ich schwer von Begriff bin. Das steht zwar nicht in Ihrem Text, Sie nehmen darauf aber implizit Rücksicht, indem Sie mir oben Genanntes in regelmäßigen Abständen in der taz immer wieder – gern leicht variiert – vor Augen halten. MARKUS HOLT, Haltern am See

Friedrich II.

betr.: „Das Leid mit der Leitkultur“, taz vom 2. 5. 17

Herr de Maizière legt ja Wert auf die deutsche Geschichte. Da wäre ein Blick ins 18. Jahrhundert angebracht, als am 22. Juni 1740 Friedrich II., König von Preußen, verfügte: „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden“. Damit dokumentierte er die für Preußens wirtschaftliche Entwicklung wichtige Toleranz gegenüber Einwanderern und religiösen Minderheiten. Auch die Vorfahren von Herrn de Maizière profitierten davon, die wohl zu dieser Zeit aus dem rekatholisierten Frankreich nach Deutschland geflohen sein dürften. Und gerade die Hugenotten genossen damals wohl die größten Freiheiten mit wirtschaftlichen Starthilfen und Steuerprivilegien. Eine gelungene Integration. Eine „Leitkultur“ brauchte es damals so wenig wie heute! HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel