»EIN BISSCHEN ANGST TUT MIR GUT«

VON JOCHEN VORFELDER Tina Meier ist Finanzbeamtin aus Hamburg – und eine der wenigen Frauen, die regelmäßig die mörderische Rallye Dakar fahren

Wenn Freizeitsportler und Hobby-Biker über die Königsdisziplin im Offroad-Rennen reden, dann meist wie über eine starke Droge: faszinierend und anziehend, aber man lässt besser die Finger davon. Seit die Rallye Dakar 1978 in Afrika aus der Taufe gehoben wurde, starben über 60 Teilnehmer und Zuschauer. Über 8.000 Kilometer zieht sich die Veranstaltung hin, die seit 2009 in Südamerika ausgetragen wird. Die Teilnehmer malochen täglich zehn Stunden auf dem Motorrad, rasen durch Geröll, Sand und Schlamm. Die nächtlichen Schlafrationen liegen bei vier bis fünf Stunden. Genau wegen dieser Begleiterscheinungen liebt Tina Meier die Dakar. „Das ganze Jahr daran zu arbeiten, um überhaupt an den Start zu kommen, das ist die Arbeit“, sagt Meier. „Die Strecke mit dem Motorrad zu fahren, das ist die Belohnung.“

Die Hamburgerin, die beim Finanzamt Bergedorf die Bücher von Unternehmen prüft, ist erst 2008 zum Dakar-Tross gestoßen – mit 35 Jahren, einem Alter, in dem die meisten Fahrer aussteigen. Und als Frau gehört sie zu einer kleinen Minderheit im Motorradsport. „Schon mit den ersten Mopeds haben wir Orientierungsfahrten in der Lüneburger Heide organisiert“, erzählt sie. „Da hab ich gemerkt: Hey, die Jungs können zwar rasen. Aber navigieren, das kann ich besser.“

Die realistische Chance, eine Rallye wie die Dakar zu gewinnen, haben allerdings nur Firmenteams und eine Handvoll Profis. Für Privatfahrer wie Tina Meier ist die Teilnahme ein Rechenexempel. Das Startgeld, ein Motorrad, Mechaniker, ein kleines Team mit Medienarbeitern und einem Physiotherapeuten, die Flüge – für eine Rallye zahlt Meier rund 80.000 Euro.

Wer bei der Dakar mitfahren will, muss den Betrag mit Überzeugungskraft bei Sponsoren und als Selbstvermarkterin in den restlichen elf Monaten des Jahres erwirtschaften. Seit einigen Jahren bietet Meier ihren Sponsoren an, nicht nur als rollende Litfaßsäule zu dienen, sondern ihre Erfahrungen in die Unternehmen einzubringen. Sie moderiert Workshops, leitet Seminare und hält Vorträge. Ihr Thema: Niederlagen wegstecken, sich durchbeißen.

Auch die männlichen Starter könnten dazu einiges erzählen. Die Dakar hat manchen Teilnehmer arm gemacht. Wer es trotzdem immer wieder schafft anzutreten, ist Teil einer verschworenen Fahrergemeinschaft. „Rallyefahren schweißt zusammen“, sagt Meier. Bei einem Unfall oder bei Stürzen, die oft vorkommen, steht man sich bei. Im hinteren Feld wird das Miteinander ohnehin groß geschrieben: „Da gibt es keinen Unterschied.“ Und selbst wenn man wollte, sagt Tina Meier: „In voller Montur und unterm Helm kann man eh nicht sehen, ob da Männlein oder Weiblein auf die Schnauze gefallen ist.“

Sie spürt nur bei wenigen Rallye-Konkurrenten Stress, wenn sie als Frau an ihnen vorbeizieht. „Die empfinden es als persönlichen Affront. Aber es sind in der Regel diejenigen, die sich zu Tode ärgern, wenn ein Mann überholt. Denen fehlt die innere Balance und das richtige Ziel.“ Mit vier Starts bei der Dakar und 40 Jahren ist Tina Meier in Sachen Erfolg Realistin: „Ich will ins Ziel kommen, das ist mein Gewinn.“

Sie ist nicht sehr schnell, aber bekannt dafür, konstant und konzentriert zu fahren. Sie hat eine niedrige Sturzquote. Sie sichert sich gute Plätze, weil die Männer oft zu viel wagen: „Ich steh zu diesem ambivalenten Gefühl aus Respekt vor der Gefahr und ein bisschen Angst, das tut mir gut. Ich starte auf Platz 170 und am Ende der Rallye lande ich auf Platz 70, weil sich hundert Jungs vor lauter Übermut selbst rausgekegelt haben.“ Doch allein darum betreibt niemand Motorsport. Auch Meier nicht. Bei Rallyes, bei denen statt Highspeed mehr Köpfchen in schwierigem Terrain gefragt ist, hat sie Chancen, auf dem Treppchen zu landen. Bei der Rallye Breslau gewann sie 2012 eine Etappe. „Erfolg macht schon bisschen süchtig“, sagt sie. „Und Lust auf mehr.“

Jochen Vorfelder, 57, arbeitet als freier Journalist in Hamburg. Er schreibt meist über Motorräder und immer wieder gern über Frauen, seit er 1980 für den Berliner Lokalteil der taz eine Hundefriseurin aus Charlottenburg porträtierte. Er war dabei, als die taz-Frauen für die Frauenquote blank zogen.