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Die Europäische Union muss demokratischer werden, sozialer, erotischer und lustiger. Aber jetzt müssen wir erst mal für sie demonstrierenSchaltet den Hyperloop frei

Wir retten die WeltVonHannes Koch

Es ist Protest neuen Typs. Pro Europa. Eine Freundin ist mitgekommen zu dieser Pulse-of-Europe-Kundgebung, die jeden Sonntag auf dem Berliner Gendarmenmarkt stattfindet, und mein 17-jähriger Sohn. Die Veranstaltungen sind kurzweilig und unterhaltsam. Es werden Karten verteilt. Was findet ihr gut an Europa?, lautet die aufgedruckte Frage. Nun liest der Moderator, vielleicht 25 Jahre alt, die Antworten per Lautsprecher vor. Eine lautet: „Dass ich mich in einen Franzosen verliebt habe“.

„Cool hier, oder?“, frage ich und beiße mir auf die Zunge, weil ich es als anbiederisch empfinde, Jugendsprache zu sprechen, von der alle über 30-Jährigen denken, es sei cool, sie zu benutzen, weil die Jungen angeblich so reden. „Außer den zwei jungen Moderatoren“, sagt mein Sohn, „sehe ich niemanden jünger als 60.“

Meine 55-jährige Freundin, die ich aus Studienzeiten im vergangenen Jahrhundert kenne, schnauft: „Willst du sagen, wir sind alte Säcke?“ Ich recke die linke Faust und rufe: „Hoch die internationale Solidarität!“ Peinlich berührt tritt mein Sohn einen Schritt zur Seite. Ein Grauhaariger neben mir nestelt an seinem Hörgerät. War ich zu laut? Die Umstehenden blicken irritiert. Vielleicht haben sie meinen Widerstandsslogan das letzte Mal bei der RAF-Hungerstreik-Demonstration 1989 gehört.

Um die Welt zu retten, müssen wir erst mal Europa retten. Hoffentlich entscheidet die Mehrheit der Franzosen das bei der Präsidentenwahl am nächsten Sonntag auch so. Denn, trotz aller Kritik an der EU der Profite und der Schäuble-Diktatur: Wo sonst auf der Welt sind sich Menschen mit unterschiedlichen Pässen so nah wie auf diesem Kontinent? Wo gibt es mehr grenzüberschreitende Kooperation und Empathie?

Also Europa retten – aber wie? Die Europäische Union muss sozialer werden. Dass sie Vorteile bringt, sollten die Bürger auf ihrem Konto spüren. Die EU könnte beispielsweise ein zusätzliches Arbeitslosengeld zahlen. Selbst liberale Ökonomen wie Clemens Fuest finden das nicht abwegig. 200 Euro monatlich für jeden Erwerbslosen, von Brüssel überwiesen, würden die Wirtschaftskrise in Griechenland lindern. Sind wir Utopisten?

Europa muss lustiger und erotischer werden. Zum 18. Geburtstag könnte die EU jedem Bürger ein Interrail-Ticket für vier Wochen kostenloses Bahnfahren zwischen Tallinn und Gibraltar, Athen und Bordeaux schenken. Sogar ein konservativer Knochen wie der niederbayerische CSU-Politiker Manfred Weber findet das gut. Denn reisen und grenzüberschreitend vögeln bildet. Sind wir Hedonisten?

Europa muss demokratischer werden. Meine 20-jährige Tochter fährt mit dem Omnibus für direkte Demokratie durch die Lande. Sie fordert Volksabstimmungen, damit die Bürger zwischen den Wahlen mit entscheiden können. Ist sie eine Träumerin?

An meiner Bürotür hängt ein kleines Emaille-Schild, das mir mein Vater vererbt hat. Zwölf goldene Sterne auf blauem Grund. Nachdem er Polen, Frankreich, Serbien und Griechenland erobert hatte und aus britischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, trat er der Union Europäischer Föderalisten bei, einer damals neuen Versöhnungsorganisation. Deutsche und Franzosen trafen sich an der Grenze und montierten gemeinsam Schlagbäume ab. Viele seiner Freunde hielten ihn deswegen für einen Fantasten.

Guckt er mir jetzt über die Schulter und lächelt zufrieden, dass wir es begriffen haben? „Geh weg, du alter Sack“, denke ich, „lass mal die Jungen ran. Wir schaffen das.“ Mein Sohn gähnt und verabschiedet sich. Soll er machen.

In 30 Jahren wird er dafür demonstrieren, dass die europäische Zentralregierung für die dann eine Milliarde Unionsbürger der 120 Mitgliedsregionen den Hyperloop freischaltet, um die Reisezeit von Kiew nach Lissabon von sechs auf drei Stunden zu verkürzen.

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