: „ICH SPÜRTE SEINE UNBÄNDIGE WUT“
VON NICOLA KUHRT Kaum jemand kennt sich so gut im rechten Milieu aus wie Andrea Röpke. Sie geht zu Demos, Konzerten und Lagern. An die Morddrohungen hat sie sich gewöhnt, an die Faschisten nicht
Und dann hatte sie richtig eins aufs Maul gekriegt. Am 4. November 2006 beobachtete Andrea Röpke den „Märkischen Kulturtag“ im brandenburgischen Blankenfelde. Die neonazistische „Heimattreue Deutsche Jugend“ hatten geladen. Gemeinsam mit einem Fotografen legte sich die Journalistin unauffällig auf die Lauer, etwa hundert Meter vom avisierten Veranstaltungslokal der Rechtsextremisten entfernt.
Trotz der Entfernung wurden sie entdeckt, drei rechte Schläger steuerten direkt auf sie zu. Die Reporter flüchteten in einen nahen Supermarkt, versteckten sich zwischen den Regalen. Umsonst – der Anführer der „Heimattreuen Jugend“ griff sie an, Sebastian Räbiger, ein baumlanger Kerl mit Glatze, Anfang 20, stieß die schmale Journalistin zu Boden. Verzweifelt zückte Röpke ihre Kamera. „Ich spürte seine unbändige Wut. Als ich ihn zu filmen begann, schlug er mir mit einem gewaltigen Hieb ins Gesicht. In der Öffentlichkeit, am helllichten Tag. Damit habe ich nicht gerechnet.“ Sie trug eine Prellung an der Wange davon, das Auge schmerzte, der Fotograf war übelst gewürgt worden.
Räbiger wurde später wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, die „Heimattreuen“ sind heute verboten. Wie groß ihre Angst in dieser Situation war, beantwortet Röpke nicht direkt, das tut sie nie. „Für mich war ganz wichtig, dass ich mir selber geholfen habe, also, dass ich einfach meine Kamera angestellt habe. Sein Gesicht war direkt über mir.“
In Deutschland gibt es etwa ein Dutzend Journalisten, die kontinuierlich im rechtsextremen Milieu recherchieren. Kein Wunder, dass es nicht mehr sind: Die Arbeit ist nicht nur gefährlich, sie ist aufwändig und zeitintensiv. Röpke selbst beobachtet seit Mitte der neunziger Jahre die rechte Szene. Sie hatte das Gefühl, dass sich nach Mölln, Rostock und Solingen niemand mehr wirklich für das Thema Rechtsextremismus interessierte. „Es war so schrecklich normal geworden.“
Heute kennt sich kaum einer so gut aus im braunen Sumpf wie sie. Und Röpke lebt mit der Gefahr, auch mit der anonymen Bedrohung, die ihr permanent aus dem Internet entgegenschwappt. Auf NPD-Seiten wird gezielt gegen Menschen wie sie gehetzt, kontinuierlich ihr Name, ihr Bild veröffentlicht.
„Ich bin sehr vorsichtig“, erklärt Röpke. Regel Nummer eins: Gehe nie allein auf Recherche! Generell meidet sie größere Feste und gibt sich überhaupt sehr zugeknöpft. Das Thema Familie ist tabu, darüber spricht sie nicht, niemals. Tatsächlich wissen nur wenige, wo sie wohnt.
Derzeit ist Röpke besonders gefragt: Die Morde der Zwickauer Zelle haben die Republik geschockt. Die Medien staunen über den Terror der „Nazibraut“ Beate Zschäpe und ihrer zwei Komplizen. Doch schon ein Jahr vor dem Auffliegen der NSU hat die Journalistin gemeinsam mit ihrem langjährigen Kollegen Andreas Speit das Buch „Mädelssache – Frauen in der Neonaziszene!“ veröffentlicht.
Erst wollte sie das gar nicht. „Eine Frau schreibt über rassistische Frauen, was für ein Klischee!“, sagt sie und seufzt – doch die Beobachtung, dass überzeugte Gesinnungstäterinnen noch viel zu wenig wahrgenommen werden, erschien ihr zu wichtig. „Es fällt uns schwer, einzugestehen, dass Frauen nicht weniger fanatisch sein können als Männer, dass sie die Strategien der Nazis bewusst mittragen und mit dieser Einstellung sogar in sensiblen Bereichen wie Schulen und Kindergärten arbeiten.“ Wie Daniela Kühnel, die unter dem Deckmantel der Aufklärung Kindern im Georgsmarienhütte die „Biologischen Grundlagen unserer Weltanschauung“ erklärte. Und im Anschluss zeigte die 26-Jährige den Hetzfilm „Der ewige Jude“.
„Wir gehen immer davon aus, dass Frauen in die Szene nur reinrutschen, weil sie die Freundin eines Rechten sind“, sagt Röpke. Das sei ein fataler Fehler. „Unter dem Deckmantel der lieben, sozialen Frau breiten sich die Neonazistinnen ungeniert aus.“
Am meisten schockiert die Journalistin eine Frau wie Ricarda Riefling. Sozialassistentin für Haus- und Familienpflege mit Einser-Abitur, vierfache Mutter und eine der wichtigsten Frauen innerhalb der NPD. Was würde sie in Deutschland tun, wenn sie drei Wünsche frei hätte? „Ausländer rückführen, die Mutterschaft fördern, Wege ebnen.“
Nicola Kuhrt, 37, ist stellvertretende Ressortleiterin bei Spiegel Online, Ressort Wissenschaft, und für ihre Recherchen im Gesundheitswesen preisgekrönt worden. Wellness-Storys nerven sie genauso wie die Tatsache, dass der Gesundheitsminister dieses Jahr knapp eine bessere Marathonzeit gelaufen ist.