Aufklärung hoch drei

Breitscheidplatz Noch vor der Sommerpause soll der Untersuchungsausschuss die Arbeit aufnehmen.Damit versuchen gleich drei voneinander unabhängige Ermittler die Pannen im Fall Anis Amri aufzuklären

Gedenken an die Opfer vom Breitscheidplatz Foto: Fabrizio Bensch/dpa

von Bert Schulz

Die Regierungsfraktionen von SPD, Linkspartei und Grünen bereiten sich offenbar auf die Enthüllung weiterer Pannen bei den Polizeiermittlungen zu Anis Amri vor. „Lange hat nichts auf schwerwiegende kontinuierliche Fehler in Berlin hingedeutet. Doch die Sachlage hat sich geändert“, begründete Torsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, am Dienstag die Einsetzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Attentat am Breitscheidplatz.

Bisher hatten die Regierungsfraktionen einen solchen Ausschuss stets nachdrücklich abgelehnt und stattdessen die Arbeit des vom Senat eingesetzten Sonderermittlers Bruno Jost als ausreichend angesehen. Am Montag erfolgte die überraschende Wende, nachdem Jost bei seinen Ermittlungen im Landeskriminalamt (LKA) vermutlich manipulierte Ermittlungsakten zu Anis Amri gefunden. Der Tunesier Amri war am 19. Dezember mit einem Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast und hatte dabei zwölf Menschen getötet, mehr als 60 wurden verletzt.

Durch Josts Ermittlungen steht inzwischen die Frage im Raum, ob Amri der Polizei als relevanter Drogenhändler bekannt war und vor dem Anschlag hätte festgenommen werden können. Am 3. Juli will der Sonderermittler einen Zwischenbericht vorlegen; unmittelbar danach soll zusätzlich der Untersuchungsausschuss des Parlaments seine Arbeit aufnehmen. „Josts Ergebnisse sollen in die Definition des Untersuchungsauftrags eingehen“, sagte Daniel Wesener, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen.

Die genaue Fragestellung und die angestrebte Dauer der Untersuchung wollen SPD, Linkspartei und Grüne möglichst gemeinsam mit den Oppositionsfraktionen erarbeiten.

AfD und FDP haben einen Untersuchungsausschuss schon lange gefordert. Er wird aus zwölf Mitgliedern bestehen und voraussichtlich von der CDU geleitet werden. Zahlreiche Fragen dort werden auch die Arbeit und Verantwortung des damaligen CDU-Innensenators Frank Henkel betreffen.

SPD, Linke und Grüne lobten am Dienstag explizit die schnelle Arbeit von Jost, der von ihnen über den kommenden Untersuchungsausschuss allerdings nicht vorab informiert worden war. Ziel des Ausschusses seien nicht primär schnelle Ermittlungsergebnisse, so Steffen Zillich, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion. Vielmehr wolle man eine „parlamentarische Debatte über Konsequenzen“ führen. Er versprach, die weitere Arbeit von Jost möglichst nicht zu behindern, etwa indem man sich gegenseitig die Akten wegnähme.

Noch eine Task Force

Bisher hat es erst einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz gegeben – in Nordrhein-Westfalen. Die Zeugenvernehmungen dort sind beendet. Der Ausschuss kann seine Arbeit aber erst fortsetzen, wenn er nach der Wahl vom Landtag wieder neu eingesetzt wird. Der Attentäter Anis Amri war zeitweise von der Polizei in NRW als Gefährder eingeschätzt worden.

Forderungen, auf Bundesebene ebenfalls einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, waren bisher vergeblich. Da im September Wahlen sind, hätte dieser zudem kaum Zeit zum Ermitteln. (taz)

Das wird nicht ganz einfach. Denn mit der Arbeit des Ausschusses laufen künftig drei Untersuchungen zum gleichen Thema parallel. Am Montag hatte Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) auch die Einrichtung einer „Task Force“ im LKA angekündigt, die die weitere Aufklärung koordinieren werde. Sie soll täglich und fortlaufend Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Sonderermittler Jost unterrichten. Die Task Force besteht aus 14 Kripo-Beamten; geleitet wird sie von einem Juristen der Polizeidirektion 6, der mit dem LKA nichts zu tun habe, sagte Akmann.

Die Gruppe soll „jeden Stein und jedes Blatt zu Amri einzeln umdrehen, jede Datei sichten nach dem Vieraugenprinzip“, sagte der Staatssekretär. Derzeit gehe man von einem individuellen Fehlverhalten Einzelner aus; aber die Strukturen und Arbeitsweisen des LKA müssten grundlegend überprüft werden.

Auch Torsten Schneider kündigte eine umfassende Aufklärung an ohne Rücksicht auf Position und Funktion der betroffenen Personen: „Es gibt keine Schonung, für niemanden.“