Migranten wollen Kulturbetrieb aufmischen

Drei Tage lang wird die Jahrhunderthalle in Bochum Migranten gehören: Melez, ein friedlicher Schmelztiegel der Kulturwelt in NRW. Bisher wurden ausländische Mitbürger kulturell eher allein gelassen

MÜLHEIM taz ■ 2010 werden 50 Prozent aller Jugendlichen im Ruhrgebiet einen Migrationshintergrund haben. Das sagt die „Mosaik“-Studie des Zentrums für Türkeistudien in Essen und des Regionalverbandes Ruhr (RVR). Auf die Prognosen der Demoskopen muss reagiert werden – mit Kultur. Im nächsten Monat gehört die Jahrhunderthalle in Bochum für drei Tagen den türkischen Gruppen aus der Region und den Kultur-Highlights aus der Türkei. Das „Melez“ Fest soll den Prozess der Integration fördern und hat gleichzeitig „großes Potential für die Kulturhauptstadtbewerbung“, sagt Holger Bergmann, künstlerischer Leiter des Ringlokschuppen in Mülheim, der gemeinsam mit der „Dialog e.V.“ aus Duisburg und dem Essener Dervish Kulturmanagement das Fest veranstaltet.

Die Notwendigkeit eines solchen Leuchtturms für Migranten-Kultur hat Ursachen. „Alle Migranten wurden in der Region allein gelassen“, sagt Tayfun Demir von „Dialog“. Sie mussten immer alles selbst organisieren: Räume, Gelder und Möglichkeit ihre eigene Kultur zu leben und darzustellen. Die Kulturbehörden im Ruhrgebiet hätten da versagt und das habe den heutigen Zustand von so genannten Parallelgesellschaften verursacht. Die seien einfach aus Not entstanden. Mit dem Melez-Fest soll nun, kristallisiert auf drei Tage, das Thema angepackt und Impulse für die zukünftige regionale Kulturpolitik in Nordrhein-Westfalen gegeben werden.

„Melez“ ist türkisch und bedeutet soviel wie „Mischling“. Unumstritten ist der Begriff aus der Biologie nicht. In der Türkei hat er auch einen negativen Beigeschmack, wird von nationalen Kräften als Schimpfwort benutzt. „Es gab Diskussionen auch in der regionalen Community“, sagt Demir. Dennoch soll der Begriff für Mischkultur etabliert werden. Auch die kommenden Feste im Ruhrgebiet, die dann andere Einwanderer-Kulturen beleuchten sollen, werden diesen Titel behalten, so Bergmann. „Eine mutige Entscheidung“, sagt Kazim Calishgan von Dervish. Mit dem Fest in der Triennale-Hochburg soll auch eine neue Zeitung erscheinen. „Melez-Art“ dient dann monatlich als Plattform für Gegenrede und Kritik und informiert über Integration in Europa.

Über 30 Programmpunkte hat das Melez-Fest. Große Namen aus der Türkei werden dabei sein, aber auch zahlreiche Gruppen aus der Region. Für die Premiere wurde das bedeutende „Modern Dance Turkey“ Ensemble aus Ankara engagiert. Sie halten der Gesellschaft tanzend einen Spiegel vor und zeigen ihr Programm als erstes in einer Schulvorstellung. Gerade hier soll das Verständnis für fremde Kulturen gestärkt werden. Abends spielt dann der Jazz-Pianist Aydin Esen. Der ist schon mit Pat Metheny und Gary Burton getourt und sei eigentlich „schwer ausgebucht“, sagt Claudia Saerbeck vom Ringlokschuppen. Genau wie Sezen Aksu, die Grand Dame des Pop in der Türkei. „Sie zu bekommen, war schwierig“, sagt Saerbeck, weist aber sofort auch auf die Tanzuraufführung „Kalligrafia“ der Kölnerin Suna Göncü hin. Wichtig sei den Veranstaltern der Bezug zur Region. Hier sei viel passiert. Einige Gruppen haben von hier den Weg in die Welt geschafft. „Wir wollen das Kulturleben der Migranten im Ruhrgebiet sichtbar machen“, sagt Demir.

Der türkische Botschafter in Berlin, Mehmet Ali Irtemcelik und der Chef der Staatskanzlei, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU) haben gemeinsam die Schirmherrschaft übernommen. Nach dem Regierungswechsel in NRW habe sich an der Haltung der Landesregierung nicht geändert, so Holger Bergmann. PETER ORTMANN