ausgehen und rumstehen
: Seltsame Getränke für das junge Amerika

Ach goldener Herbst! War nicht das ganze Wochenende in Gold getaucht? Vielleicht zum letzten Mal in diesem Jahr war man kurzärmelig unterwegs, irgendwie traurig, aber irgendwie auch gut, Schluss mit dem Sommergetue.

Am Freitag ging es Richtung Hallesches Tor, eine völlig ungewohnte Ausgehrichtung zwar, aber im Hebbel am Ufer sollten Rhythm King And Her Friends auftreten und Stücke von der neuen Platte vorspielen. Vor dem pittoresken 70er-Jahre-Bau hatten sich schon Theaterpublikum und Konzertbesucher versammelt. Es ging ja um die Eröffnungsveranstaltung zu „Poker im Osten – eine Beschwörung der Monster und Helden des Alltags“.

Drinnen herrschte die architektonisch gewollte Atmosphäre einer Schulaula, der Auftritt von Vaginal Davis war leider schon vorbei. Die Betonsäulen hatte man mit Packpapier umwickelt, darauf komplizierte astrologische Berechnungen zum Sternkreiszeichen der DDR. Aber ach, das Horoskop der DDR – who cares? Da wollte man noch nicht einmal die Augen anstrengen und schauen, im wievielten Haus der Sonne die Deutsche Demokratische Republik in ihrem Geburtsjahr gestanden hatte.

Auf der Bühne agierte derweil ein recht eitel wirkender amerikanischer Staatsangehöriger. Er redete viel unnützes Zeug, kokettierte sprachlich herum und bewies, das so genannte standup comedy nicht nur in deutscher Sprache unerträglich und langweilig ist. Obwohl ja an dieser Stelle angemerkt werden muss, dass die Anwesenheit von immer mehr jungen Amerikanern beiderlei Geschlechts in unserer Stadt und insbesondere in der Gegend ums Schlesische Tor allgemein begrüßt wird. Die young americans bestellen gerne seltsame Getränke wie Wein mit Limonade, rauchen so dankbar in den Bars und geben uns durch ihre Anwesenheit ein Gefühl von Internationalität. So muss es in Prag um 1990 gewesen sein!

Die Frage der Woche war natürlich: Was hast du denn so gewählt? Und seltsamerweise schämte sich jeder ein bisschen, schlug die Augen nieder und murmelte: „Ich hab halt Linke/ Grün/Rot-Grün gewählt“. Nur die aufrechten Nichtwähler und Ungültigwähler stehen moralisch einigermaßen über den Dingen. Die verschiedenen öffentlichen Schwarz-Gelb-Outings der letzten Zeit gaben zusätzlich Diskussionsstoff: Wie geht man mit Neokonservativen, man nennt sie jetzt auch verniedlichend „neocons“, im Bekanntenkreis um? Da reichen die Meinungen von einem harschen „Ächten-Schneiden-Hausverbot“ bis zum windelweichen „tolerieren, aber nicht akzeptieren“.

Schon am Wahlsonntagabend waren in der Volksbühne bei Frikadellen, Puppenspiel und einer wenig unterhaltsamen Vorstellung der Partei „Die Partei“ Verschwörungstheorien – angeblich direkt aus Regierungskreisen – herumgereicht worden, aber die versprochene große politische Intrige blieb aus. Montag, Dienstag, Mittwoch – ein einziger Polittalk, selbst die munteren Trinker vor der Markthalle krakeelten ein verwaschenes „Der Schröder macht die Koaall-aation abba nur …“ durch die Straße. Dann flachte das politische Interesse zum Glück ab, am Freitagabend konnte man schon wieder normal tratschen, ein wenig in die Zukunft blicken und Pläne für die kommende Ballsaison schmieden.

CHRISTIANE RÖSINGER