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Helmut Höge, geb. 1947, schreibt seit 1980 für die taz unter anderem Regionalrecherchen, über Wirtschaft und Naturkritik. Beim Verlag Peter Engstler ist außerdem seine zwölfbändige Reihe „Kleiner Brehm“ mit Texten zu Tieren erschienen. In seinem taz-Blog „Hier spricht der Aushilfshausmeister“ berichtet er regelmäßig über Tiere, Pflanzen, Pilze und Menschen.

Ein Gespräch mit Peter Glaser über Katzen

Helmut Höge, geb. 1947, schreibt seit 1980 für die taz unter anderem Regionalrecherchen, über Wirtschaft und Naturkritik. Beim Verlag Peter Engstler ist außerdem seine zwölfbändige Reihe „Kleiner Brehm“ mit Texten zu Tieren erschienen. In seinem taz-Blog „Hier spricht der Aushilfshausmeister“ berichtet er regelmäßig über Tiere, Pflanzen, Pilze und Menschen.

Helmut Höge

Ein Haus ohne Katze ist wie ein Bett ohne Matratze“ (russisches Sprichwort)

Der 1957 in Graz geborene Schriftsteller Peter Glaser war Chefredakteur der Datenschleuder des Chaos Computer Clubs sowie Mitarbeiter der Zeitschrift Tempo und ist heute „Netzkolumnist“ und Blogger der NZZ, der Technology Review und der Stuttgarter Zeitung – manchmal haben seine Beiträge „Cat-Content“. Sein Vater war Ingenieur und er interessierte sich zunächst für Raumfahrt und Raketentechnik. Wie die amerikanischen Fernlenksystemforscher nach dem Zweiten Weltkrieg kam er dann über die Kybernetik dazu, sich mit Computern auseinanderzusetzen. Zugleich verdingte er sich als Landvermesser, Tankwart, Arbeiter in einer Papierfabrik und in einem Zirkus. Räumlich bewegte er sich dabei von Graz nach Düsseldorf und von da nach Hamburg, wohnte dann 15 Jahre in Berlin-Spandau an der Havel und nun in Berlin-Mitte an der Spree, in einer zu gediegenen Wohnzwecken umgebauten Fabrik, in der sich zuletzt der Technoclub Kater Holzig befand.

Auf Deutschlandradio Kultur erfuhr ich, dass er schon seit seiner Kindheit Katzen hat: „Seine erste Katze hieß Ali und war pechschwarz. Bis vor einigen Jahren wusste er nicht: Ali wurde irgendwann überfahren, das hat ihm seine Mutter gestanden, als er längst erwachsen war. Weil sie ihn als Kind nicht mit dem Tod der Katze konfrontieren wollte, hatte sie ihm einfach eine neue pechschwarze Katze besorgt, die sie auch Ali nannte. So lebte Peter Glaser einige Zeit mit dem falschen Ali zusammen.“

Seine derzeitigen zwei Katzen, Mutter und Sohn – Lale und Socke –, stammen aus Spandau, die beiden haben einen oder mehrere Maine-Coon-Vorfahren. Sie ist 11 und ihr Sohn 10 Jahre alt. Eine Tochter von ihr bekam Peter Glasers Steuerberaterin – eine ganz getigerte: „Sie wurde von der Frau verwöhnt und eine richtige Prinzessin.“ Früher besaß er Kartäuserkatzen. Seine jetzigen beiden wirken alles andere als schlank, sie haben ein dickes Fell und schöne Gesichter. Peter Glaser tut einiges, um ihnen aus möglichen Lebensverlegenheiten zu helfen: Er füttert sie dreimal täglich („Der Kater lässt immer seine Mutter vor beim Fressen, und wenn sie was stehen lassen, ist immer in beiden Schüsseln was über.“). Auf Wunsch dreht er in der Küche den Wasserhahn auf, denn „Katzen trinken gerne aus fließendem Wasser, an sich brauchen sie aber wenig Flüssigkeit“. Sie haben einen Topf mit Katzengras, das jeden Tag gegossen wird. Sie haben einen Kratzbaum. Gelegentlich lässt er Kartons rumliegen, in die sie sich reinzwängen können und an denen sie ebenso wie an Videocassetten gerne riechen. So oft sie wollen, werden sie gestreichelt („der Kater beendet dies irgendwann – meist mit einem Tatzenschlag, dafür schnurrt er auch, wenn seine Mutter gestreichelt wird“). Peter Glasers Wohnung ist auch ihre. Geplant sind dort noch ein dicker Kletterbaum und kleine Trittbretter, damit sie auf die Bücher- und Küchenschränke hochkommen („Katzen sitzen gerne oben“). Sie haben im Wohnzimmer in der Mitte auf einer Anrichte ein Katzensolarium – bestehend aus einer Schirmleuchte mit einer Glühbirne (Peter Glaser ist nicht zuletzt deswegen ein Kritiker des Glühbirnenverbots – ihm geht es dabei gerade um die Wärmeabstrahlung!). Sie haben im selben Raum zwei Katzenliegen in Form eines mit kratzfester Faser ausgelegten hölzernen Wellentals. Ihr Panic Room ist unter dem Bett im Schlafzimmer. Im Frühjahr soll am Ende des Umlaufbalkons noch ein Brett rüber auf das begrünte Dach einer großen Garage gelegt werden. Die Katzen können dann nach Belieben raus und rein. „Jetzt haben sie sich erst einmal an die neue Wohnung gewöhnt.“ Er hat den Eindruck, dass sie Spielsachen nur drinnen benutzen, draußen sind sie ernster.

Während ich mit Peter Glaser am Tisch sitze, liegt die Katze in ihrer Katzenliege und hat uns im Blick, wobei ihr gelegentlich die Augen zufallen, während der Kater sich unter der Glühbirne zusammengerollt hat und uns den Rücken zudreht. „Sie machen durch ihre bloße Anwesenheit alles angenehmer“, findet er. „Sie sind sehr autonom und elegant, oft wirken sie geradezu ätherisch. Dann sind es Nachtwesen und ich bin ein Nachtmensch, das passt gut. Und durch die festen Fütterungszeiten geben sie mir einen Rhythmus vor. Sie bringen Regelmäßigkeit in mein Leben.“ Seine Katzenliebe beschränkt sich nicht auf seine zwei Hauskatzen. Als er auf der griechischen Insel Ios überwinterte, wurden mehrmals die Moskitonetze an seinen Fenstern zerrissen und Käse wurde vom Tisch geklaut. Es waren drei Katzen, die er schließlich – bei einem Gewitter – reinließ und als Hausgäste betrachtete. Sie kamen sogar ins Bett, eine Graue schlief auf dem Kopfkissen, eine kleine Schwarze nuckelte oft an ihrem Schwanz, wahrscheinlich hat sie ihre Mutter zu früh verloren, vermutet er. Nachdem er seinen Rucksack gepackt hatte, um abzureisen, begleiteten die Katzen ihn bis zur Fähre, um sich von ihm zu verabschieden: „Ein trauriger Moment.“ Ich gebe zu bedenken, dass sie vielleicht jeden in der Hütte überwinternden Ausländer zur Anlegestelle begleiten, wenn der sich ihnen gegenüber freundlich verhalten hat.

Auf Facebook postet Peter Glaser fast täglich Katzenfotos, die er witzig betitelt und die deswegen immer weiter durchgereicht werden im Netz. Es geht ihm um gute Katzenphotos („So wie gute Kunst oder eine gute Single“). Die Bilder bezeichnet er als „Internet-Beifang“. Bei mir entstand dadurch der Wunsch, ein längeres Gespräch über Katzen mit ihm zu führen. Zunächst sprachen wir über Katzendressuren im Zirkus, dazu hatte ich ihm die Kopie eines Kapitels aus dem DDR-Buch „Seltene Dressuren der Zirkusgeschichte“ von Gerhard Zapff mitgebracht, in dem es heißt: „Die seit Jahrhunderten domestizierte Katze besitzt einen kaum zu beugenden eigenen Willen, während ihre wilden Verwandten eher Respekt vor dem Dresseur haben und ihm zu gehorchen lernen. Es ist nicht selten vorgekommen, dass eine dressierte Katze während der Vorstellung partout nicht das zeigte, was der Tierlehrer mit ihr vorher monate-, oft sogar jahrelang einstudiert hatte. Sie zeigte ihm stattdessen einen Katzenbuckel und fauchte ihn böse an. Da half dann kein Zureden und kein Lockmittel, da nützte auch keine Strafe. Das mag wohl auch der Grund sein, weshalb es so wenig Hauskatzendressuren gibt.“

Die Wissenschaft ist ebenfalls der Meinung, dass Katzen schwierig sind: „Was die Forschung an der Katze problematisch macht, ist gleichzeitig das, was viele so an ihr lieben: die Eigensinnigkeit“, meint der Verhaltensforscher und Katzenexperte Dennis Turner vom Institut für angewandte Ethologie und Tierpsychologie in Hirzel bei Zürich. „Die Erfolgskarriere der Katze ist im Vergleich zum Hund etwas höchst Erstaunliches“, betont er. Hunde sind soziale Rudeltiere – ihr natürliches Verhalten übertragen sie einfach auf uns Menschen. Die Vorfahren der Hauskatze waren dagegen einzelgängerische Eigenbrötler. Mit ihrer enormen Anpassungsfähigkeit haben sie ihr Sozialverhalten an uns Menschen angepasst – „eine faszinierende Fähigkeit, die sich weiter zu erforschen lohnt“. Die Wissenschaft gibt also nicht auf. Auch an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle im österreichischen Grünau steht die Katze im Mittelpunkt einiger Forschungsprojekte. Eine Studie blickt gezielt auf die Persönlichkeit des Katzenhalters und das daraus resultierende Verhalten der Katze: „Je emotional instabiler der Mensch, desto mehr beansprucht er die Katze als Unterstützer“, berichtete der Forschungsleiter Kurt Kotrschal. Diese Abhängigkeit weiß die Katze raffiniert für sich zu nutzen: „Die Katzen labiler Menschen waren bei den Untersuchungen die wählerischsten, was das Futter angeht.“ Durch theatralisches Verhalten und jammervolles Miauen versuchen sie ihre Bezugsperson dazu zu bewegen, ihnen etwas Besseres zu geben. „Katzen machen soziale Spielchen, um den Menschen zu kontrollieren, damit er ihnen quasi gehorcht.“ Die Phonetikerin an der schwedischen Universität Lund, Susanne Schötz, erforschte die Lautäußerungen von Katzen. Dabei fand sie heraus: „Manche dienen allein der Kommunikation mit dem Menschen. Ausgewachsene herrenlose Katzen miauen eigentlich nicht, ihre Laute sind allein für den Menschen gedacht.“ Amerikanische Katzenforscher bestätigten unlängst in einer Studie, was Katzenbesitzer schon lange argwöhnen: „Katzen verstehen, was man ihnen sagt, aber sie ziehen es vor, das meiste davon zu ignorieren.“

Die Schriftstellerin Doris Lessing besaß jahrzehntelang Katzen und veröffentlichte mehrere Bücher über sie. Sie sagt, dass sie inzwischen mehr über eine gestorbene Katze trauert als über einen gestorbenen Bekannten oder Verwandten. In einem ihrer Bücher heißt es: „Jeder aufmerksame, sorgsame Katzenbesitzer weiß mehr über Katzen als die Leute, die sie beruflich studieren. Ernsthafte Informationen über das Verhalten von Katzen und anderen Tieren findet man oft in Zeitschriften, die Geliebte Katze oder Katze und Du heißen, und kein Wissenschaftler würde im Traum daran denken, sie zu lesen.“ Heute zählen dazu wohl auch die „Katzenforen“ im Internet. Überraschend viele Frauen diskutierten dort, ob sie ihren Freund verlassen sollen, weil der ihre Katze nicht akzeptiert – oder diese ihn nicht, indem sie zum Beispiel mit „Protestpinkeln“ auf ihn reagiert. Fast alle Frauen entscheiden sich zugunsten ihrer Katzen.

Obwohl die Katzenkenner ungerne zwischen Klein- und Großkatzen unterscheiden, war Peter Glaser während seiner Arbeit im Zirkus, der eine Löwen- und eine Bärennummer im Programm hatte, nicht so sehr von den Löwen, sondern von den Bären beeindruckt, denn er musste sich in einer Fantasieuniform nur einen Meter entfernt von einem aufstellen, der oft sehr unruhig war. Daneben erwähnte Peter Glaser auch noch eine Gruppe marokkanischer Bodenartisten, mit denen er näheren Kontakt hatte. In Japan besuchte er eine Katzeninsel, dort leben außer einem Katzenpfleger nur Katzen – eine japanische Rasse, die einen Stummelschwanz hat und den schottischen Faltohrkatzen ähnelt. In den Städten gibt es Katzencafés (in Berlin haben auch bereits drei eröffnet). Dort gehen Leute hin, die bei sich zu Hause keine Katze halten können, aber doch gelegentlich mit einer was zu tun haben wollen. Im Tierheim, wo viele Katzen leben, verkehren etliche ältere Damen, die sich ehrenamtlich um ein oder zwei Katzen kümmern, um sie zu unterhalten – bis sie einen neuen Besitzer finden. Laut dem Tierschutzverein gibt es in Berlin zwar keine herrenlosen Hunde, aber rund 80.000 streunende Katzen. Man versucht sich auch um diese zu kümmern – auf Friedhöfen zum Beispiel, wo sie daneben noch von Friedhofsbesucherinnen gefüttert werden. Wenn eine Katze krank ist oder verletzt, wird sie von den Tierheimmitarbeitern eingefangen und behandelt. Die Berliner Singvogelfreunde haben dafür nur bedingt Verständnis. Peter Glaser hat schon ein paar Mal mit einem Kescher Vögel vor seinen Katzen gerettet, die sich in seine Wohnung verirrt hatten.

In Spandau verschwand einmal sein Kater, „aber es gibt auch dort ein geheimes Netzwerk älterer Frauen, mit deren Hilfe ich ihn wieder fand“. Anders als bei vielen Vogelarten sind die Katzen laut Peter Glaser reviertreuer als die Kater, die gerne nomadisieren. Seine Katze übernahm sofort die Revierführung, als ihr Sohn von einem Auto angefahren wurde. „Er macht manchmal bei den Katzenspielen mit, aber wohl nur, um mir eine Freude zu machen. Er ist zu schlau zum Spielen“ – und zum Beispiel hinter einer Kugel am Band herzujagen.

Als seine Katzen Hunger haben, unterbrechen wir das Gespräch und er füllt ihre Schüsseln. Anschließend putzen sie sich ausgiebig. „Das ist angeboren – sie wollen damit, glaube ich, ihren Beutegeruch loswerden.“ Er hat schon viele „Katzenmenschen“ kennengelernt, zwei erwähnt er: einen Hamburger Insektenforscher und seine Frau, die ihren Katzen täglich etwas kochen. „Der Entomologe verkleidet sich beim Karneval als Käfer.“ Ich kenne eine Kölner Ameisenbärforscherin, die sich im Karneval als Ameisenbär verkleidet. Aber das sind Ausnahmen, die meisten Frauen verkleiden sich als Katze.