ARNO FRANK über GESCHÖPFE
: Das Schicksal der Bienenkanzlerin

Klar können wir von den Insekten lernen! Vor allem, wie man einen zivilisierten Machtwechsel hinbekommt

Weitab der Zivilisation hockten wir auf hölzernen Planken an einem schwedischen See. Zwischen uns nur Käse, Knäckebrot, Rotwein und Gegluckse, wenn mal wieder die verspäteten Wellen eines vorbeischnurrenden Bootes unter den Steg schlugen.

Vom fernen Wahlkampfgetöse war bisher nur die Wiederholung eines TV-Duells von 1979 bis in dieses Idyll vorgedrungen. Durchs Schneetreiben unseres antiken Fernsehers hatten wir gerade noch einen jungen Helmut Kohl erkennen können, wie er einem ketterauchenden Kanzler Helmut Schmidt „’nglaublische Arrogans“ vorwarf. Dann setzte die Wirkung der psyloglobinen Pilze ein, und unter allerlei Gelächter über die „Wildarrogänse“ am Abendhimmel schwebten wir runter zum Wasser, Tiere ärgern.

Ich verfütterte gerade rotweingetränktes Knäckebrot an einen zutraulichen Erpel. Meine Reisegefährtin hatte eine Wespe angelockt, die sich nun mit zitternden Fühlern über den Gouda hermachte: „Proteine sammeln sie als Futter für ihren Nachwuchs, Zucker als Treibstoff für sich selbst!“

„Cool“, kommentierte ich misstrauisch: „Keine Angst, dass sie dich sticht?“

„Ach was! Wespen sind soziale Tiere, genau wie Bienen. Wir sollten von ihnen lernen!“

„Jaja, lernen, lernen, popernen …“, schwärmte ich, während mein Erpel noch ein Stückchen Rotweinknäckebrot verschlang: „Was jetzt genau?“

„Insekten haben schon Staatswesen gebildet, da war die Menschheit noch ein glibberiger Fleck in irgendeinem Tümpel. Und sie werden noch Staatswesen bilden, wenn die Gletscher der nächsten Eiszeit die letzten Überreste unserer Zivilisation weggehobelt haben“, flötete sie fröhlich: „Das Matriarchat macht’s möglich! Im Bienenstock beispielsweise geht auch ein Machtwechsel völlig glatt über die Bühne! Weil die Männchen nur Drohnen sind und nicht mitspielen dürfen.“

Verdrossen von so viel Vulgärfeminismus wollte ich die Sache auf sich beruhen lassen. Schweigend weichte ich ein weiteres Stück Brot in Wein auf, was dem Erpel trotz seines glasigen Blicks nicht entgangen war. Mit forderndem Gequake schwankte er auf mich zu, spreizte sogar drohend das Gefieder, nicht eben eine Zierde unseres Geschlechts: „Wenn sozusagen die Bienenkanzlerin nicht mehr genug Eier legt“, sagte ich, „dann wird sie von ihrem Volk in Stücke gerissen. Feiner Machtwechsel das.“

Meine Gefährtin grinste nur, blickte der startenden Wespe hinterher und tischte mir folgende Geschichte auf: „Auf Sri Lanka leben zwei Bienenvölker, eines im Norden, eines im Süden. Die Kanzlerin der südlichen Rasse hält ihr Volk durch Angst und Gewalt in Schach. Sie tötet sogar ihre Arbeiterinnen, um sich Respekt zu verschaffen. Und je weniger Kraft sie verspürt, umso mehr muss sie ihr Volk tyrannisieren. Ein totalitärer Terrorstaat! Die nördliche Rasse ist evolutiv schon weiter. Dort kontrolliert die Kanzlerin ihren Staat nicht durch Repressionen, sondern durch die Absonderung von speziellen Duftstoffen, die auf alle anderen Bienen im Stock wie eine beruhigende, glücklich machende Droge wirken. Ich würde das einen Wohlfahrtsstaat nennen!“

„Und wenn ihr die Duftstoffe ausgehen?“, fragte ich und klatschte in die Hände, um den inzwischen stockbesoffenen Erpel zu verscheuchen. Das Tier schnatterte in hohem Bogen zu Wasser, wo es sofort pickend und hackend den anderen Enten zu Leibe rückte. „Naja, wenn ihr die Duftstoffe ausgehen, dann wird sie auch zerrissen“, räumte meine Gefährtin ein: „Und das Volk sucht eine neue Königin.“

Wir teilten uns den letzten Rest Wein, jeder seinen Gedanken nachhängend. Wespen. Bienen. Männer. Frauen. Hm. „Und wie ist es bei Hornissen?“

„Perfekt!“, verkündete meine Gefährtin triumphierend: „Am Ende des Jahres stirbt das komplette Volk aus, alle, durch die Bank, mausetot!“

Ach. „Und wie geht es weiter?“

Meine Gefährtin gähnte, streckte sich und grinste: „Nur die befruchteten Weibchen überleben, Freundchen, nur die befruchteten Weibchen.“

Fotohinweis:ARNO FRANK GESCHÖPFE Fragen an die Natur? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN