Wachsendes Feldforschungsinteresse

TANZ Bevor die Tanzcompagnie Rubato jetzt auf Chinatournee gehen wird, war sie noch einmal im Pankower Eden zu sehen

Tanz und international besetzte Teams gehören seit Jahren zusammen wie „Reis und Wasser“, um es in einem – hier umgedeuteten – Bild der Tanzcompagnie Rubato zu sagen. In den Freie-Szene-Produktionen herrscht aber auch letzthin wachsendes Feldforschungsinteresse. Die Choreografen wählen nicht mehr nur aus dem Angebot internationaler Tänzer vor Ort aus, sondern gehen gleich (subventioniert) auf Reisen und treffen sich mit Künstlern, die bislang dem globalisierten Tanztransfer weniger ausgesetzt waren, deren Praxis eindeutige Differenzen zur eigenen aufweisen und von denen man sich dadurch das eigene Tun gern spiegeln lässt.

Höhepunkt dieses neuen, sich spiegelnden Exotismus waren die „Logobi“-Reihen des Choreografenteams Gintersdorfer und Klaßen, bei denen Streetdance aus der Elfenbeinküste gegen Diskurstanz deutscher Prägung verhandelt wird und oberflächige gegenseitige Nachahmungen heftige Kulturclash-Lacher auf Niveau einer Ballettpersiflage einkassieren konnten.

Subtiler geht es bei Gerbes’ und Brandstätters Japan-Korea-Stück „Notebook“ und bei Riki von Falkens Malaysia-Begegnung „Echo“ zu, oder auch bei den schon jahrelang in China arbeitenden Rubato-Choreographen Jutta Hell und Dieter Baumann. Nach dem Heterotopien-Duo „FindeOrte“, einer Suche nach den transitorischen und definierenden Prägungen des Körpers, hat das Team nun die Vorgängerproduktion „milk & bread / rice & water“ in der Dock-11-Spielstätte Eden in Pankow wieder aufgenommen, mit der es dann auch im November auf Chinatournee gehen wird.

In dem Stück wird mit Rückenwind des französischen Philosophen Jean-Luc Nancy, des momentan angesagtesten Tanzstichwortgebers, der Körper nach Erfahrungen des Fremden durchsucht – nicht nur im Sinn einer kulturellen Differenz, sondern vor allem auch einer Ich-Fremdheit, die das „eigene“ Subjekt zum am wenigsten integrierbaren Vorgang des Körperlichen macht.

Grazil herumspringen

Und so schüttelt sich die Tänzerin Katja Scholz kräftig am eigenen Leib ab, nimmt Gesichtszüge tragischer Persönlichkeitsabspaltungen an oder bricht in hysterisches Lachen aus, das ohne Übersetzungstransfers vom argentinisch-französisch-chinesischen Mitstreiterteam verstanden und aufgenommen wird.

Bei Mercedes Appuglieses und Florian Bilbaos technisch glanzvollem Duett sieht es eher nach einer versuchten Körpersprengung oder kontaktimprovisatorischen Umleitung all jener Energien aus, die ansonsten dazu führen, mit Backsteinen Fenster einschlagen zu wollen. Auch die gerade gegen Ende sehr starken Ensemblepartien der sechsköpfigen Gruppe scheinen von der ausgeprägten Technik Appuglieses und Bilbaos zu profitieren, nutzen starke Bodenelemente und leiten Reibungsenergie in pure und ausstrahlungsintensive Tanzlust um.

Neben diesen eher ernsthaften Selbstbefragungen sind drei durchkonjugierte Körpervermessungsduos für die Humorkomponente des Abends zuständig. Also legen Bauchspeck-, Beinmuskel- und Haarlängenvergleiche ein paar Eigenheiten der hübschen Körper frei und geben dem beneidenswert dicken Zopf von Li Ling Xi den Auftritt, auf den man schon die ganze Zeit gewartet hat. Anfangs hatte die Rubato-erfahrene Tänzerin quasi programmatisch mehr ästhetische Erwartungen geweckt, als erfüllt wurden. „Mein Herz berührt meinen Brustkorb. Könnt ihr das sehen?“, fragte sie und ließ ihr Zwerchfell grazil herumspringen.

Lis kokett-schöner Satz verweist dabei durchaus auf eine inhaltliche Entscheidung des Abends. So wie die Herz-Brustkorb-Berührung nicht sichtbar ist, wird auch die Fremdheitsdramatik nicht hergeleitet, sondern schlicht vorausgesetzt.

Dass nicht Brot und Milch, Reis und Wasser das ausschlaggebende Differenzkriterium sein können, das sieht man der Aufführung also lediglich irgendwie an, während die Klanglandschaft wie so oft mit instrumentalen und konkreten Kompositionen einen süffigen, rhythmisch-atmosphärischen Cocktail serviert. ASTRID KAMINSKI