ULRICH SCHULTE ÜBER DAS SOZIALPROGRAMM DER GRÜNEN
: Apropos Kindergrundsicherung

Die Grünen haben wieder bewiesen, dass sie keine Öko-FDP sind. Das löst ihr Problem aber nicht

Kleiner Test: An welche Partei denken Sie, wenn Sie das Wort Mindestlohn hören? Und welcher Partei trauen Sie Leidenschaft zu, wenn es um höhere Hartz-IV-Sätze geht?

Vermutlich ist Ihnen bei der ersten Frage die SPD in den Sinn gekommen und bei der zweiten die Linkspartei. Und da sind wir schon mittendrin in dem Problem, das die Grünen in der Sozialpolitik haben. Die Ökopartei kann noch so sorgsam durchgerechnete Sozialkonzepte präsentieren, die Kompetenz werden WählerInnen sehr wahrscheinlich der politischen Konkurrenz zuschreiben.

Inhaltlich sind die Beschlüsse der Grünen vom Parteitag in Hannover kleine Schritte in die richtige Richtung. Ein Mindestlohn, ein Hartz-IV-Regelsatz von 420 Euro, eine Garantierente, all dies sind sinnvolle Anliegen, die die Grünen seit vielen Jahren im Herzen wägen. Sie sind nun nochmals in Form gegossen, und sie sind auf Euro und Cent finanziert. Darauf sind die Grünen zu Recht stolz, so viel Ehrlichkeit bekommt keine andere Partei in Deutschland hin. Die allein reicht als Beweis, dass das Klischee von der Öko-FDP ein Irrtum ist. Trotzdem haben die Grünen in der Sozialpolitik ein Markierungsproblem: Den Mindestlohn wollen alle, bei Hartz IV bietet die Linke mehr, eine Zuschussrente will inzwischen sogar Ursula von der Leyen. Mit dem ambitionierten Projekt der Kindergrundsicherung könnten sich die Grünen profilieren, doch sie haben es aufgeschoben: zu teuer.

Wer den Armen etwas geben will, muss den Gutverdienern mehr wegnehmen. Das trauen sich die Grünen nicht, weil sie ihre wieder neu entdeckte wertkonservative Klientel in der Mitte nicht verschrecken wollen. Einen Antrag für einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent, der unter Helmut Kohl noch üblich war, stimmten die Delegierten routiniert weg.

Wahrscheinlich ist diese Strategie richtig, wenn man in die Regierung und enttäuschte CDU-Wähler locken will. Aber mutig oder links ist sie nicht.

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