heute in hamburg: „Die Reform ist zu schwach“
Finanzsystem Eine Ökonomin erklärt den Handlungsbedarf im globalen Finanzsystem
43, ist Ökonomin, freiberufliche Finanzmarktexpertin und hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Linken im Bundestag gearbeitet.
taz: Frau Reiners, was nützt es einem, wenn man weiß, wie das globale Finanzsystem funktioniert?
Suleika Reiners: In der Politik gibt es viel Nachholbedarf in Bezug auf das Finanzsystem. Das konkrete Handeln kann zwar oft stärker durch Organisationen als durch einzelne BürgerInnen erfolgen, aber wenn sich etwas ändern soll, ist es immer auch wichtig, dass Themen in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert haben. Mein Vortrag soll zum Verständnis des Finanzsystems und zur politischen Meinungsbildung beitragen.
Und dann?
Das Thema der Finanzmarktreform muss vermehrt Eingang in die G20-Proteste finden. Finanzmärkte sind zudem nicht erst in Krisen ein Problem, sondern bereits im Alltag. Die Nahrungsmittelspekulationen zum Beispiel berühren Menschenrechte. In der Politik lautet die Devise, dass die Reform die Finanzbranche nicht mehr als nötig belasten dürfe, also bloß nicht zu viel. Aber das Problem ist ja, die Reform ist viel zu schwach.
Welche Auswirkungen hat das?
Das Gemeinwohl spielt kaum eine Rolle. Es gibt immer noch Nahrungsmittelspekulation, die ist bei den G20 aber gar kein Thema – genauso wie Lobbyismus. Die EU-Finanzbranche gibt 30 Mal mehr für ihre Interessenvertretung bei der europäischen Gesetzgebung aus, als Nichtregierungsorganisationen, Verbraucherverbände und Gewerkschaften zusammen. Außerdem feiern die G20 die Bankenregulierung als Erfolg, aber Banken in der EU können sich nach wie vor zu 97 Prozent auf Kredit finanzieren und sind immer noch sehr fragil.
In Bezug auf die G20 gibt es also Verbesserungsbedarf?
Ja. Auch in Bezug auf die demokratische Einbindung. Die Weise, in der Finanzmärkte in den USA oder der EU reguliert sind, hat Auswirkungen auf afrikanische Länder. Die sind aber in den G20-Vehandlungen nicht gleichberechtigt vertreten. Sie haben lediglich Gaststatus.
Wo kann die Politik ansetzen, um das Finanzsystem zu verändern?
Zum Beispiel an den international vereinbarten Nachhaltigkeitszielen der UNO. Eins dieser Ziele ist die Verbesserung der Regulierung und Überwachung der globalen Finanzmärkte. Indem sie zu stagnierenden Standards tendieren, stehen Handelsabkommen zum Teil im Widerspruch zu diesem Ziel.
InterviewLena Eckert
Vortrag „Let’s talk about… Finanzsystem“: 19:30 Uhr, W3-Saal, Nernstweg 34
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