Hörbuch Harry Rowohlt erzählt sein Leben, Max Goldt hört auf den Wahnsinn
: Goebbels’ Tischdame

Als Harry Rowohlt vor zwei Jahren starb, trauerte das Land um einen begnadeten Übersetzer, knorken Schauspieler, prononcierten Kolumnisten und passablen Schriftsteller. Vor allem aber wurde das Verstummen seiner Stimme betrauert. Einprägsam hat er viele der von ihm übersetzten Werke als Hörbuch eingelesen.

Bis er schwer krank wurde, soff er sich bei seinen Lesungen sukzessive einen gediegenen Vollrausch an – das Pu­bli­kum habe ein Recht darauf, mitzuerleben, wie sich der Rezensent zugrunde richte. Außerdem schmückte er die Lesungen mit ausschweifenden Anekdoten, sodass mancher Gast am Ende nicht mehr genau wusste, welches Werk auf dem Programm stand oder ob es sich „nur“ um einen „Abend von und mit Harry Rowohlt“ gehandelt hatte.

2001 traf er sich mit dem taz-Kolumnisten und Irlandlorrespondenten Ralf Sotscheck in Ballyvaughan an der irischen Westküste, um ihm seine Erinnerungen zu erzählen. Heraus kam das Buch „Harry Rowohlt erzählt Ralf ­Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege. In Schlucken-zwei-Spechte“. Für das Hörbuch wurden nun „die schönsten Passagen“ der Memoiren ausgewählt, die Rowohlt auf acht Tonbandkassetten gesprochen hat.

Kauzige Nonchalance

Es ist beeindruckend, wie er mit kauziger Nonchalance keine Gelegenheit auslässt, eine erzählerische Nebenstrecke zu betreten, aber immer rechtzeitig, bevor entweder er oder die Hörerin sich verliert, den Weg zurück zur Ausgangserzählung findet. Und das stets druckreif.

Rowohlt erzählt, warum seine Mutter Tischdame von Goebbels sein musste, obwohl sie keinen „Ariernachweis“ hatte, von seiner Schulzeit in Hamburg, den Lehr- und Wanderjahren in New York und als Werbetexter in Westdeutschland – wodurch nebenbei eine Oral History des letzten Jahrhunderts entsteht.

Max Goldts Texte selbst zu lesen ist schon ein Vergnügen. Wenn der 59-jährige Autor sie aber selbst vorliest, sticht die Vielschichtigkeit seiner Geschichten vom Wahnsinn des Alltags noch deutlicher hervor. So auch auf der CD „Der Mann mit dem Mireille-Mathieu-Bart“, auf der er 15 Texte versammelt, die er seit 1988 geschrieben und zum Teil neu bearbeitet hat.

Er sagt die Texte, die teils im Studio eingesprochen sind, teils bei Lesungen aufgenommen wurden, an und versieht sie mit Kommentaren. Einmal mehr spielt er in „Ein gelungener Antrittsbesuch“ mit prototypischen Erwartungen der Hörer. Eine Tochter aus besserem Hause in den Hamburger Elbvororten stellt ihren Eltern ihren Freund vor, der Filme macht, „in denen sich die Leute auf gut Deutsch gesagt ins Gesicht scheißen“. Dass die Eltern nicht konsterniert sind, ist im Goldt-Kosmos selbstverständlich, aber wie sie nun auf das neue Familienmitglied reagieren, ist von großer Komik.

Das Lachen im Halse stecken bleibt einem, wenn Goldt in „Was tun mit den süßen Holo-Leugnern“ die unfassbare Igno­ranz im Umgang mit dem Thema Nationalsozialismus ge­nüsslich vorführt. Goldt, der uns als Sänger von Foyer des Arts in den 80ern unvergessliche Textzeilen wie „Komm in den Garten, ich schlag dir den Kopf ab“ geschenkt hat, hat von seiner perfiden, weil vordergründig schmusig daherkommenden Kratzbürstigkeit nichts eingebüßt. Sylvia Prahl

„Harry Rowohlt erzählt sein Leben von der Wiege bis zur Biege“. Edition Tiamat, 4 CDs, 4,5 Stunden

Max Goldt: „Der Mann mit dem Mireille-Mathieu-Bart“. Hörbuch Hamburg, 2 CDs, 157 Min.