Rettung in den Tropen

EMIGRATION Der dominikanische Diktator Trujillo gab 1938 tausenden Juden Asyl. Was aus der jüdischen Gemeinde in Sosúa wurde, berichtet das Buch „Fluchtpunkt Karibik“

Wegen bürokratischer Hemmnisse und hoher Kosten lebten nie mehr als 500 jüdische Migranten in Sosúa

VON WOLF DIETER VOGEL

Alles begann im französischen Évian-les-Bains. In dem Badeort am Genfer See trafen sich im Juli 1938 Vertreter aus 32 Staaten, um darüber zu beraten, wer jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich aufnehmen kann. Die Konferenz wurde zum Fiasko, zu einer „erschütternden Erfahrung“, wie die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir später sagte. Praktisch kein Staat wollte den Jüdinnen und Juden Asyl gewähren.

Die Ausnahme machte ausgerechnet ein Land, dessen Präsident weltweit als Hitler-Verehrer bekannt war: die Dominikanische Republik. General Rafael Trujillo erklärte sich bereit, 10.000 Asylsuchende aufzunehmen, später erhöhte er die Zahl sogar auf 100.000. Trujillo galt als brutaler Diktator und war mitverantwortlich für das Massaker an 12.000 dunkelhäutigen Haitianern im Jahr 1937.

Was also veranlasste einen Rassisten, Menschen zu helfen, die vor dem deutschen Antisemitismus geflüchtet waren? Wollte er das Ansehen seines Landes wieder aufpolieren?

Rassistische Motive

Die Gründe sind vielschichtiger, erklären der Journalist Hans-Ulrich Dillmann und die Historikerin Susanne Heim in ihrem Buch „Fluchtpunkt Karibik“, das die Geschichte der jüdischen Gemeinde Sosúa und ihrer Bewohner erzählt. Nicht zuletzt sei Trujillos Angebot selbst rassistisch motiviert gewesen: „Um die Hautfarbe der Bevölkerung seines Landes ‚aufzuhellen‘, wollte er weiße Siedler ins Land holen.“ Die Flüchtlinge kamen trotzdem, Trujillo war ihr „furchterregender Lebensretter“, schrieb die Schriftstellerin Hilde Palm.

Anfang der 40er-Jahre begann eine Handvoll Jüdinnen und Juden in Sosúa einen „karibischen Kibbuz“ aufzubauen. Unterstützt von der internationalen jüdischen Hilfsorganisation Joint wollten sie ein selbstverwaltetes landwirtschaftliches Projekt schaffen. Sie züchteten Schweine und Kühe, pflanzten Tomaten, Gurken oder Süßkartoffeln und bauten Häuser, Krankenstationen und Schulen.

Für einige wurde der bäuerliche Alltag in den Tropen zur Qual. Sie waren meist aus den Städten Europas gekommen, die Arbeit auf dem Feld war ihnen fremd gewesen. Und so mancher nutzte die Gemeinde ohnehin nur als Sprungbrett, um in die USA zu gelangen. Letztlich bot Sosúa nur wenigen eine Perspektive. Bürokratische Hemmnisse und hohe Kosten sorgten dafür, dass nie mehr als 500 jüdische Migranten dort lebten. Doch nicht nur deshalb geriet das Projekt in die Kritik. Landwirtschaftliche Misserfolge, fehlende Absatzmärkte und andere Probleme sorgten dafür, dass an eine ökonomische Selbstständigkeit zunächst nicht zu denken war. Zudem fehlte vielen Siedlern die Motivation. Das wiederum bestätigte zionistische Kritiker, die der Auffassung waren, jüdisches Siedeln sei nur in Palästina möglich, weil dort die Aussicht auf einen eigenen Staat existiere.

Spätestens als die UN nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Gründung Israels befürworteten, konzentrierte der Joint seine Unterstützung aufs „gelobte Land“, Spendengelder gingen vor allem an die Schoa-Überlebenden in Europa. Der Plan, Sosúa zum Zuhause für tausende von Juden zu machen, war gescheitert.

Ballermann der Karibik

Einige sind dennoch geblieben. Beispielweise der heute 101 Jahre alte „Don Luis Hess“, der Hotelier Joe Benjamin und Carl Bienen, der die ersten koscheren Frankfurter Würstchen auf der Insel hergestellt hat.

Autor Dillmann, der selbst in der Dominikanischen Republik lebt, hat mit ihnen gesprochen. Ergänzt durch Beiträge, die den historischen Zusammenhang beleuchten, werden die persönlichen Geschichten zu Zeugnissen, die weit über die reale Bedeutung Sosúas von Interesse sind. Sie zeigen, wie sich internationale Entwicklung und jüdische Debatten auf die Einzelnen auswirkten.

Zugleich verweist die Entwicklung der Siedlung auf die Rolle, die Migranten für die Modernisierung auf der Insel hatten. Heute säumen zahlreiche Ferienanlagen, Restaurants und Diskotheken den Strand von Sosúa, die Gemeinde ist zum „Ballermann der Karibik“ geworden. Der 2004 verstorbene Joe Benjamin erinnerte sich noch genau daran, wie er das erste Hotel aufgebaut hat: „Sie nennen mich den Vater des Tourismus.“

Hans Ulrich Dillmann, Susanne Heim: „Fluchtpunkt Karibik. Jüdische Emigranten in der Dominikanischen Republik“. Ch. Links, Berlin 2009, 192 S., 24,90 Euro