Die Kunst der Entdeckung

LSD-BAROCK Er hat Pop-Opern und für die Beach Boys komponiert. Die Musiklegende Van Dyke Parks kommt für zwei Auftritte nach Deutschland

■ Der Darsteller: geboren 1943 in Hattiesburg, Mississippi, als einer von fünf Söhnen einer Musikerfamilie. Lebt heute in Los Angeles, Kalifornien. Nachbar von David Lynch, in dessen TV-Serie „Twinpeaks“ er 1990 mitspielte.

■ Die Alben: 1968 Debütalbum „Songcycle“. Sechs weitere Alben folgen, darunter „Discover America“ (1971), „Jump“ (1980), „Orange Crate Art“ (1995, zusammen mit Brian Wilson). Sein Credo: „Happy Songs sell records, sad songs sell beer“ (ein Titel seines Songwriter-Kollegen Jim Ford)

■ Die Konzerte: Er spielt am 15. 11. in Berlin, Passionskirche und am 17. 11. in Frankfurt am Main im Mousonturm.

VON JULIAN WEBER

Er sagt Sätze wie „Ich mag Umgangssprache, aber vergessen Sie bitte nicht, dass wir aufrecht gehen.“ Oder: „Kalifornien: Welch großartiger Ort, um einen Staatsbankrott aus nächster Nähe zu erleben.“

Nein, um große Worte war der US-amerikanische Musiker Van Dyke Parks nie verlegen. Das Schöne: Er trifft dabei einen poetischen Ton. Vielleicht ist Parks sogar einer der letzten seiner Zunft, der mit einem Bein in den Charts steht und mit dem anderen in einer griechischen Tragödie namens Showbusiness.

„Wir kämpfen in der Musikbranche mit harten Bandagen. Besonders athletisch ist die Auseinandersetzung um die richtigen Posen. Wenn ich an die Idioten denke, die momentan dabei den Ton angeben, steigt Ärger in mir auf. Soll ich noch einmal in den Kampfring?“ Eine rhetorische Frage, denn der in Los Angeles beheimatete Parks hat für 2010 ein neues Studioalbum angekündigt und kommt nun auch zum ersten Mal in seiner 46-jährigen Karriere nach Deutschland, um zwei Konzerte zu geben. Das ist, gelinde gesagt, die Überraschung der Saison.

Wer ist Van Dyke Parks?

Bekannt wird er 1967 als Texter von Beach-Boys-Komponist Brian Wilson. Gemeinsam versuchen Wilson und Parks die Genialität des Beatles-Meisterwerks „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ mit der noch opulenteren Pop-Oper „Smile“ zu übertrumpfen. Damit gehen sie baden, aber als Songwriter bleibt Van Dyke Parks eingeführt. Bis heute hat er es auf lediglich sieben Soloalben gebracht, davon eines verstiegener als das andere. Dass diese Platten so viel wiegen wie 20 Alben der versammelten Konkurrenz – geschenkt. Van Dyke Parks’ Musik atmet den Pioniergeist des Goldenen Popzeitalters. An Bob Dylans Spontaneität hat er sich ein Beispiel genommen. Anders als Dylan setzt Van Dyke Parks die Folktraditionen jedoch als ernst zu nehmende kulturelle Einflussgrößen immer in Bezug zu seinen eigenen, auch gegensätzlichen musikalischen Vorlieben. Heraus kommt eine Version, die orchestraler ist, artifizieller, auch distanzierter. Er nennt sie „Verdinglichung von Folk“. Van-Dyke-Parks-Songs vibrieren vor Anspielungen und trotzdem sind sie eigenwillig, originell, kalifornisch durchgeknallt.

In einem Atemzug wird das American Songbook zitiert, Werke von Franz Schubert oder Calypso-Sound aus der Karibik. Nur die schlechten Vibes der Blumenkinder-Zeit bleiben außen vor. „Ich war Counter-Counterculture. Man konnte mich zwar in Schlaghosen antreffen, so mellow wie die Hippies fühlte ich aber nie. Ich war ein Getriebener“, sagt er rückblickend, „weil ich die unbeantworteten Fragen meines Egos bereits beantwortet hatte. Wir sind alle auf der Welt, um danach zu fragen. Die Frage nach Gott.“ Seiner überbordenden Ideen wegen wurde Parks’ Musik einmal „LSD-Barock“ getauft. Anders als der ehemalige US-Präsident Bill Clinton habe er in den Sechzigern den Rauch von Joints auch inhaliert, gab Parks einmal zu.

In allem, was er je gemacht habe, liegt ein Hauch Agitation, sagt Van Dyke Parks. Die USA seien durch die Ermordung Kennedys eine zutiefst traumatisierte Nation gewesen, das habe seine Generation vorzeitig zu Erwachsenen gemacht. „Wenn man die politischen Ereignisse der Sechziger wie eine Zeitleiste an die Popmusik anlegt, die damals entstanden ist, würde sie von ihnen illuminiert.“

Was auch für Hindernisse im Weg lagen, metaphysischer oder anderer Natur, Van Dyke Parks hat sie überwunden. Das hat Kraft gekostet, keine Frage. Aber Kunst sei dazu da, um andere Menschen zu ermächtigen. „Ich bin dankbar, dass ich von Zeit zu Zeit an belebten Kreuzungen stehe, um anderen über die Straße zu helfen“. sagt er.

Im Hintergrund, aber durchaus einflussreich agierte Van Dyke Parks als Komponist, der für Kollegen wie Ry Cooder oder Randy Newman Hits schreibt, ihre Debütalben produziert. Nicht zu vernachlässigen ist der Filmkomponist. Aus Parks’ Feder stammen 40 Soundtracks – unter anderem für Filme von Robert Altman und Walter Hill.

Und auch das ist Van Dyke Parks: ein Entdecker und Arrangeur, der talentierte junge Musiker wie Rufus Wainwright, Joanna Newsom oder Inara George in die richtige Spur setzt. Zudem macht er in den letzten Jahren immer öfter als Komponist von Kinderserien wie „Harold and the Purple Crayon“ auf sich aufmerksam. „Eine Arbeit, die mich auszehrt und blutend zurücklässt. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Der Produzent forderte, ich soll eine Szene mit einem sterbenden Goldfisch musikalisch unterlegen, aber mit der Musik gleichzeitig den unbehüteten vierjährigen Zuschauer vor der Glotze ansprechen. Ich löste dieses Möbiusband von einem Dilemma mit einer Sitar.“

Geboren wird Van Dyke Parks 1943 im Süden der USA, in Hattiesburg im Bundesstaat Mississippi. Er sei dort ziemlich isoliert, aber glücklich aufgewachsen. Ahnung von der Welt habe die Musik aus dem Radio verschafft. „Zu Hause lief meistens Jazz: der Pianist Fats Waller. Kein Domino in unserer Familie, ausschließlich Waller!“ Mutter und Vater Parks waren passionierte Klarinettisten. Auch seine vier Brüder lernen genau wie Van Dyke zuerst das Holzblasinstrument spielen. Dann geht es ostwärts nach Pittsburgh, wo Parks am Carnegie-Institute die Meisterklasse in Komposition abschließt. „Ich beschäftigte mich mit Motetten und dem Pathos der Romantik. Diese Versunkenheit in klassische Musik hat mich dann verlassen, als ich Pop einatmete. Geplant habe ich die Popkarriere aber nicht.“

Das für Frühjahr angekündigte neue Album ist das erste seit „Live at the Ash Grove“ von 1997

Seit er einem seiner Brüder Anfang der Sechzigerjahre nach Südkalifornien gefolgt ist, um in einem Coffeehouse in L.A. als Musiker zu spielen, ist Van Dyke Parks auch in Hollywood zu Hause. Damals wurde das geografische Zentrum der Musikindustrie gerade von New York an die Westküste verlegt. Arbeit in den Aufnahmestudios gab es zuhauf. Van Dyke Parks jobbte bald für Warner Brothers. „Hollywood ist ein Fantasiereich mit dem Charme einer notdürftig hochgezogenen Frontierstadt. Das hat mit dem schnellen Geld zu tun, das dort verdient wird. Es ist ein hartes Pflaster, weil Hollywood so einflussreich ist. Es herrscht immer Ausnahmezustand. Andererseits steht die ganze Stadt im Dienst einer systematisch erkundeten Kunstform, und am Ende entstehen Filme, die vielen Menschen etwas offenbaren. Mir bereiten das korporative Design, die Ähnlichkeit des Sitcom-Gelächters Schwierigkeiten. Ich höre daraus ausgestellte Ware.“

Kalifornische Lebensweise

Gar keine Schwierigkeiten bereitet Van Dyke Parks aber die südkalifornische Lebensweise, besonders die lateinamerikanischen Einflüssen schätzt er. „Als 20-Jähriger glaubte ich, Kalifornien sei Teil von Mexiko. Ich lernte daher alle Arten der mexikanischen Gitarrenkunst. Die kulturelle Dominanz der Mexikaner in Kalifornien heiße ich heute ausdrücklich willkommen.“

„It only looks easy“ zitiert Van Dyke Parks ein Buch von CNN-Boss Ted Turner, den er im Übrigen nicht ausstehen kann. Und für dessen Ehe mit Jane Fonda er die Worte „what a night!“ übrig hat. „Komponieren ist Schwerstarbeit“, sagt der 66-Jährige. Eigentlich aber gehe es beim Songwriting um die Kunst der musikalischen Entdeckung. „Je älter ich werde und je mehr ich meinen Horizont musikalisch erweitert habe, desto komplizierter wird dieser Vorgang. Mir kommt es fast so vor, als wäre der Rohstoff ein Marmorblock, aus dem es dann die Büste mit den Nackten zu modellieren gilt.“

Die Entstehungsdauer neuer Songs ähnele inzwischen eher Cricket als Baseball, schiebt er hinterher. In Zahlen ausgedrückt: Das für nächstes Frühjahr angekündigte neue Album wäre dann das erste Lebenszeichen seit „Live at the Ash Grove“ von 1997. So viel verrät er schon: Einer der Songs handelt von einem Wallstreet-Broker. „Er steht auf dem Kopf und hält Händchen mit einer Frau, die er eben kennengelernt hat. Dann knallen sie durch den Asphalt bis hinunter zum Eastriver. Im Refrain konzentriere ich mich auf die Flussmündung.“