Im Zorn Kind angeschossen

Prozess Mit einem Luftgewehr schoss ein Mann in Alstertal auf einen 13-Jährigen, der ihm zu laut Fußball spielte. Jetzt muss er sich vor Gericht verantworten

Damit kann man auch Menschen verletzen: Luftgewehr Foto: Ingo Wagner/dpa

von Muriel Kalisch

Tim J. übte gerade Freistöße auf einem Bolzplatz in Alstertal, als er einen Mann wütend schreien hörte, dann ein Surren. Der nächste Schuss aus dem Luftgewehr von Ralf W. traf den 13-Jährigen – nur einen Zentimeter von der Leber entfernt blieb das Geschoss zwischen den Rippen stecken. „Warum hat er nicht mit mir geredet?“, fragte er seine Mutter später. Sie wusste es nicht.

Auch Ralf W. will sich nicht erklären können, warum er an dem Nachmittag im vergangenen Juli zur Waffe griff, statt den Jungen zu bitten, leiser zu sein. Jetzt muss er sich vor dem Amtsgericht wegen illegalen Waffenbesitzes und gefährlicher Körperverletzung verantworten.

„Es war eigentlich ein so schöner Tag“, sagte er beim gestrigen Prozessauftakt. Nach einer Fahrradtour mit seiner Lebensgefährtin habe er sich zum Schlafen hingelegt. Auf dem nahe gelegenen Bolzplatz spielten Kinder, darunter Tim J. Der schoss immer wieder gegen ein Metalltor. Dass laute Scheppern störte Ralf W. so sehr, dass er zunächst „Ruhe!“ aus dem Fenster brüllte. Als J. nicht reagierte, schnappte er sich das Luftgewehr, das nach der letzten Reinigung noch im Wohnzimmer lag und schoss zweimal. Treffen wollte er das Kind nie, beteuerte W. Nur was genau er denn wollte, das konnte er im Laufe des ersten Prozesstages nicht erklären.

Den Ball zerschießen, einen Warnschuss abgeben – wie das bei einem schallgeschützten Luftgewehr möglich sein soll, blieb unklar. Der Angeklagte stolperte mehrfach über seine reuevoll vorgetragenen Erklärungen. „Wenn ich ihn hätte treffen wollen, hätte ich nur einen Schuss gebraucht“, sagte der Reserveoffizier der Bundeswehr.

Waffenbesitz ist erst im Alter von 18 Jahren und mit Erlaubnis der Waffenbehörde gestattet. Ausnahmen bilden besonders gekennzeichnete Waffen wie Luftdruck- oder Reizstoffwaffen.

Luftdruckwaffen dürfen den Grenzwert der Mündungsenergie von 7,5 Joule nicht überschreiten. Sonst werden auch sie waffenscheinpflichtig.

Illegaler Besitz gefährlicher Schusswaffen wird mit Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren bestraft.

Im Erregungszustand habe er heftig mit der Waffe herumgefuchtelt und nicht gezielt – dabei hat das Gewehr ein Zielfernrohr. Der Gerichtsmediziner Michael Kammal gab zu bedenken: „Jeder, der bei der Bundeswehr war, weiß: Man schießt nie, ohne zu visieren, sonst würde man nicht einmal eine Hauswand treffen“.

Das Luftgewehr hatte W. einen Monat vorher im Internet bestellt – zum Sportschießen, wie er sagt. Die mitgelieferten abgeflachten Kugeln seien ihm nicht aerodynamisch genug erschienen. Deshalb ersetzte W. die Sportmunition durch die Jagdprojektile vom Typ „Hornet“ mit verstärkter Spitze. Die haben eine deutlich höhere Durchschlagskraft und eignen sich zum Töten kleiner Tiere. Auch davon will der Angeklagte nichts gewusst haben: „Man findet hundert Arten von Munition im Internet“, sagte Ralf W. Er habe einfach eine passende ausgewählt.

Tim macht bis heute einen großen Bogen um den Sportplatz und öffnet sich weder seiner Familie noch dem Kinderpsychologen. 5.000 Euro Schmerzensgeld bot die Verteidigung von Ralf W. dem Schussopfer an. Das Urteil wird für den 25. April erwartet.