heute in hamburg
: „Keine Diktatur“

Abstimmung Yavuz Köse spricht über die Folgen des türkischen Verfassungsreferendums

Yavuz Köse

Foto: privat

45, ist Vertretungsprofessor für Turkologie und Sprecher des Türkei-Europa-Zentrums an der Universität Hamburg.

taz: Herr Köse, ist die Türkei jetzt eine Diktatur?

Yavuz Köse: Nein, die Türkei ist keine Diktatur. Die türkischen Wähler haben über ein vorgelegtes Verfassungsreferendum entschieden und dafür sehr knapp mit Ja gestimmt. Das Ja bedeutet eine Verfassungsänderung von einer parlamentarischen Demokratie hin zu einem Präsidialsystem. Jedoch enthält die Verfassungsänderung Möglichkeiten, autoritäre und auch diktatorische Elemente zu stärken.

Welche Unterschiede bestehen zwischen dem türkischen Präsidialsystem und den Präsidialsystemen in Frankreich und den USA?

Das Parlament wird entmachtet. Auch in Frankreich oder den USA hat der Präsident relativ viel Einfluss. Jedoch gehen die Befugnisse des ab 2019 zu wählenden türkischen Staatspräsidenten darüber weit hinaus. Hinzu kommt, dass die Gewaltenteilung weitestgehend ausgehebelt wird. Das ist ein Unterscheidungsmerkmal zu den Systemen in den USA oder Frankreich.

Ist die Gewaltenteilung mit der Einführung des Präsidialsystems in der Türkei tatsächlich abgeschafft?

Es gibt noch immer Einwirkungsmöglichkeiten, die jedoch beschränkt sind. Der Präsident kann Gesetze auch per Dekret erlassen. Zudem wird es möglich, dass der Präsident die Besetzung der Justiz entscheidend beeinflussen kann. Darüber hinaus kann er die Minister benennen. Die Gewaltenteilung ist in großer Gefahr.

Was darf das Parlament noch?

Das Parlament darf Gesetze einreichen oder ein Veto gegen die vom Präsidenten erwirkten Dekrete einlegen. De facto wird es aber eher zu einem Handlanger des Präsidenten. Das Parlament hat eine andere Rolle als unter demokratischen Verhältnissen. Eine Pluralität von Meinungen, die um das bessere Argument und die beste Lösung ringen, wird es nicht geben.

Welchen Handlungsspielraum hat die Opposition?

Präsident Erdoğans AKP muss nicht zwangsläufig die nächsten Jahrzehnte an der Macht bleiben. Natürlich ist das in diesem System möglich. Aber das Referendum zeigt, wie gespalten das Land ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Stimmung im Land kippt und sich die Machtverhältnisse ändern. Die Wahlen könnten dazu führen, dass Oppositionsparteien die Bevölkerung überzeugen.

Interview Tobias Brück

Vortrag „Verfassungsänderung in der Türkei“ mit Yavuz Köse: 18 Uhr, Asien- Afrika-Institut