Kontroverse
: Braucht der Norden einen zusätzlichen Feiertag?

Aus Gerechtigkeitsgründen wäre er fällig, das Gefälle zwischen den nördlichen und den südlichen Bundesländern ist deutlich. Aber soll es ein gemeinsamer Feiertag sein? Oder einer, den sich jeder selbst aussuchen kann?

Die Debatte über einen zusätzlichen Feiertag kommt zur rechten Zeit: Nach einer jüngst veröffentlichten Erhebung im Auftrag der Krankenkasse DAK schlafen 77 Prozent der Hamburger schlecht. Psychische Krankheiten scheinen häufiger zu werden, und mittlerweile weiß jeder, was ein Burn-out ist. Ein Feiertag würde Tempo aus diesem rasenden Leben nehmen, er würde Gemeinschaft stiften und Gemeinsamkeit ermöglichen.

In einer Zeit, die von Migration geprägt ist und davon, dass viele Gruppen in wachsendem Maße ihre Besonderheiten betonen und ihre Identitäten pflegen, könnte ein weiterer Feiertag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen. Er könnte im ideellen Sinne Gemeinschaft stiften – zumindest dann, wenn er etwas feierte, auf das sich weite Teile unserer Gesellschaft emotional beziehen könnten.

Feste Feiertage strukturieren und dramatisieren das Leben einer Gesellschaft. Sie sorgen für Abwechslung im jährlichen Einerlei. Man kann sich darauf freuen und man kann sich da­raufhin mit anderen verabreden. Feiertage müssen nicht wie Urlaubstage mühsam mit den Plänen von Freunden und der Familie abgestimmt werden. Sie sind fix, damit automatisch synchronisiert und geradezu eine Aufforderung, mit anderen zusammen etwas zu unternehmen.

Und nicht nur die Arbeit fällt weg – auch das Konsum-, Freizeit- oder Sonderprogramm zur Selbstoptimierung, das sich viele von uns auferlegt haben und das es schwierig macht, mit andern zusammenzukommen. Ein Feiertag ist der Ausstieg aus der 24/7-Gesellschaft, aus dem Dauerbetrieb, dem Dauerlärm, dem Verwerten und Verwertetwerden. Er ist das Gegenprogramm zu den fehlgeleiteten Versuchen, das Einkaufen an Sonntagen zu ermöglichen.

Ein Tag Ruhe wirft den Menschen auf sich selbst zurück. Natürlich hindert er keinen daran, sich mit Fernsehen und Computerspielen von sich selbst zu entfremden. Aber er schafft freie Zeit und damit zumindest die Möglichkeit zur Muße. Damit schützt er die Gesellschaft vor sich selbst.

Gernot Knödler

Klar, neuer Feiertag, sind wir dabei. Schon der Gerechtigkeit halber. Kann ja nicht angehen, dass wir uns im Norden krummarbeiten, während ganz Süddeutschland auf der faulen Haut liegt. Hat da einer was von Produktivität geschwätzt? Wartet’s nur ab, Schwaben, bis wir euch den Windstrom nach Gutdünken zuteilen.

Aber warum nur ein Feiertag? Wenn das Fass schon aufgemacht wird, ist das doch die Gelegenheit, die gesellschaftliche Wirklichkeit abzubilden. Und die ist längst divers.

Der neue Feiertag muss für alle sein. Aber es muss nicht einer für alle sein. Jeder soll seinen eigenen haben! Warum sollten nicht die Muslime Baj­ram feiern und die Juden Jom Kippur. Die Protestanten können ihren einst auf dem Altar der Wirtschaftlichkeit geopferten Buß- und Bettag wiederhaben – wenn sie sich nicht lutherbesoffen lieber für den Reformationstag entscheiden. Und die Katholiken in der Diaspora können wenigstens an Allerheiligen oder Allerseelen blau machen.

Aber wir müssen nicht bei religiösen Communitys Halt machen. Es gibt ja heute genug andere wirkmächtige Identitäten. Lasst die Feministinnen am 8. März ausschlafen, die Homos am Christopher Street Day Party machen und die Atomkraftgegner am Fukushima-Tag auf die Straße gehen! Und wem das alles nichts gilt, der darf einfach einen Tag früher in die Schulferien abrauschen und sich die teuren Flüge sparen.

Zu kompliziert? Nö. Jeder kann bei der Unterzeichnung seines Arbeitsvertrags festlegen, welcher Tag es sein soll. Und jedes Jahr kann er wechseln. Falls sich im persönlichen Koordinatensystem was verschoben hat. Für die meisten Firmen ist es von Vorteil, wenn sich die Feiertage streuen. Und der Chef, dem dann doch alle am selben Tag ausfallen, merkt, dass er ein Diversity-Problem hat.

Für den einzelnen bringt die Anerkennung seiner Werte durch den Flexi-Feiertag ein persönliches Hochgefühl. Doch sollen Feiertage nicht durch gemeinsame Erlebnisse Gemeinschaft stiften? Von dieser hehren Illusion ist doch schon lange nicht viel mehr übrig, als das gemeinsame Stau-Erlebnis. Jan Kahlcke