Berliner Szenen: Homer im Mund
Neeeein!!!
Jahrelang war ich nicht im Nikolaiviertel. Seit ich angefangen habe zu sticken, ist diese touristische Ecke interessant für mich. Denn dort gibt es eine Klöppelstube, die das italienische Garn verkauft, das ich für den Kreuzstich verwende, mit dem ich Kissen sticke.
An einem Samstag fuhr ich also nach Mitte. Kaum hatte ich das Garn in der Tasche, trieb ich mich, die Sonne schien so schön, rund um die Weltzeituhr herum.
Und wie so oft gab es dort eine illustre Mischung an Großstadtbewohnern: Eine Afrikanerin predigte die Geschichte von Moses. „Es ist kein Märchen!“, rief sie ins Mikrofon. „Es ist wirklich passiert!“ Ein junger Mann lief schnellen Schrittes vorbei – mit einem Frettchen, das unter seinem Kinn aus der Jacke herausschaute. Vor einem Modegeschäft („Jeden Tag neue Inspirationen“) stand eine Rentnerin mit einem Rollator und sang Opernarien. In einem Körbchen an der Gehhilfe sammelte sie das Geld, das ihr die Leute gaben.
Mittendrin parkte ein Einsatzfahrzeug der Polizei. Als eine Touristin die Männer mit den schusssicheren Westen fragte, ob sie sie fotografieren dürfe, posierten sie bereitwillig. „Da für Dich“ stand auf dem Aufkleber an ihrem Wagen.
Bevor ich nach Hause fuhr, ging ich noch in einen nahegelegenen Supermarkt. Dort sah ich an der Kasse etwas, was mich richtig freute: Tic-Tac-Plastikdosen mit dem aufgedruckten Kopf des Protagonisten der einzigen Zeichentrickserie, die ich heiß und innig liebe: Homer von den Simpsons blickte mich mit seinen großen Augen an.
Bevor ich aufs Rad stieg, wollte ich einige Dragees essen. Als ich die Plastikbox öffnete, sah ich, dass jedes einzelne Dragee mit Homers Konterfei bedruckt war. „Neeeein!!!“, imitierte ich still für mich den Homer-Schrei und warf mir eine Handvoll ein. Barbara Bollwahn
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