Stille Signale, lauter Protest

BILDUNGSSTREIK Überfüllte Hörsäle, unzumutbare Lernbedingungen, mangelhafte Lehre: Der Protest der deutschen Studierenden geht in die zweite Runde. Es ist der Protest gegen eine Politik, die Bildung wieder hintanstellt

„Vielleicht ist der kritische Punkt erreicht, und die Proteste bekommen eine neue, militantere Qualität“

AUS BERLIN GORDON REPINSKI

Transparente in den Hörsälen, Info-Punkte vor den Türen, Schlafsäcke in den Ecken: Mit der Besetzung zahlreicher Hörsäle in Dutzenden Universitäten kündigt sich in den letzten Tagen an, was in der nächsten Woche offiziell passiert. Der Bildungsstreik 2009 geht in seine zweite Runde.

Nicht wenige vermuten, dass er länger dauern wird als der erste Anlauf im Frühsommer. Schon am Dienstag waren in rund zehn Städten von Bielefeld bis Marburg Hörsäle besetzt – bis Donnerstag hatte sich die Zahl verdoppelt. Am Freitag war bereits von 30 bis 50 Universitäten die Rede. Täglich kommen neue hinzu, auch Hörsäle in renommierten Hochschulen wie der LMU München und die Berliner Universitäten sind besetzt.

Über inhaltliche Forderungen entscheiden die Hochschulen unabhängig voneinander – im Kern ähneln sie sich aber: Die Qualität von Lehre und Lernbedingungen soll verbessert werden, das Studium selbstbestimmter organisiert werden. Die Studenten wollen mehr Geld für Bildung und eine Demokratisierung des Studiums.

Darüber steht die Forderung nach einer Reform der neuen Bachelor- und Master-Studiengänge. Die zeitlich eng abgesteckten Stundenpläne mit fast durchgehender Anwesenheitspflicht, die schwindenden Möglichkeiten, ein Auslandssemester einzuschieben – all dies kritisieren die Studierenden. Vor allem der Übergang zum Masterstudium ist für viele ein Problem.

„Um einen Masterstudienplatz zu bekommen, brauche ich einen Notendurchschnitt von 1,3“, sagt die Berliner Kulturwissenschaftsstudentin Elena Schoubye von der Humboldt-Universität, „das ist für mich und viele andere nicht erreichbar.“ Gerade in großen Städten sei das Problem wegen der Beliebtheit der Studienplätze in den letzten Jahren fächerübergreifend größer geworden. „In Berlin kann fast niemand mehr mit einem Abi-Schnitt über 2,0 studieren“, sagt Schoubye.

Motiviert zu den Besetzungen wurden die Studierenden durch die seit Wochen andauernden Massenproteste in Österreich. In ihren Pressemitteilungen sprechen die Studierenden in Deutschland mittlerweile von einem „internationalen Zusammenhang“, der durch die Wiener Initiative hergestellt sei. Es werden Kontakte zu österreichischen Studenten als Ansprechpartnern vermittelt. In der Berliner Humboldt-Universität bekommt ein österreichischer Kommilitone donnernden Applaus, als er ins Mikrofon ruft, man solle „einen Flächenbrand“ wie in seiner Heimat entfachen. Viele halten die Hand in die Höhe – es ist das stille Signal für Zustimmung im „Besetzerplenum“.

Die Protestierenden in Deutschland organisieren sich dezentral, jede Universität entscheidet unabhängig über Aktionen und Inhalte. Überregional werden Vernetzungstreffen veranstaltet, die der Koordination zwischen den Städten dienen sollen. Innerhalb der Universitäten bilden sich Arbeitskreise, die sich um Presse-, Internet- oder Mobilisierungsaufgaben kümmern. Mehrmals täglich, in manchen Universitäten auch am Wochenende, finden Treffen in den besetzten Sälen statt.

Unterstützung erhalten die Protestierenden in Deutschland von verschiedenen Stellen. Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, sagte, es sei „wichtig, sich zu Wort zu melden“, die Gewerkschaften GEW und Ver.di solidarisierten sich mit den Protesten. Selbst Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) forderte die rasche Umsetzung von Reformen. Die SPD-Bildungspolitikerin Ulla Burchardt sagte der taz, die Studentenproteste seien „klug“, denn durch geplante Steuersenkungen „werden Bundesländer um die Möglichkeit gebracht, Bildung zu verbessern“.

Viel Sympathie also – doch wie geht es bei den Protesten weiter? „Es gibt zwei Möglichkeiten“, sagt der Sozialwissenschaftler Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin der taz: „Entweder die Studenten demonstrieren ein paar Tage, bekommen von der Politik Recht, und am Ende passiert wieder nichts – oder der kritische Punkt ist erreicht und die Proteste bekommen eine neue, militantere Qualität.“

Welcher Fall am Ende eintreten wird, könne er nicht sagen. Jedoch spürten nach seiner Beobachtung viele Studierende, dass sie sich in der Wirtschaftskrise leise hinter Banken und Konzernen anstellen mussten. Deshalb, sagt Rucht, „würde ich mich nicht wundern, wenn die Proteste heftiger werden“.