ORTSTERMIN: BEIM „POLITIKER-SPEED-DATING“ DES DGB
: Alle zwei Minuten

Da gibt es Übernervöse und Rampensäue, Charmebolzen und eher verschüchterte Bürotypen, Schnellredner und Schwafler

„Lassen Sie mich dazu ein Beispiel bringen“, hebt Axel Brammer zum Thema Bildungspolitik an, als er vom Moderator unterbrochen wird: „Die Zeit ist um.“ Der SPD-Landtagsabgeordnete reicht das Mikrofon weiter – an den Kollegen der Linken, Manfred Sohn. Willkommen beim „Politiker-Speed-Dating“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Region Oldenburg-Wilhelmshaven.

Jeweils zwei Minuten haben 15 Vertreter – und eine Vertreterin – der fünf im Landtag vertretenen Parteien sowie der Piraten, um ihre Positionen darzulegen. Dann ist der nächste dran, es gibt keine Nachfragen, keine Diskussionen. Ein „spannendes Format“ verspricht DGB-Geschäftsführer Markus Paschke, und dass „keine Zeit für Phrasen“ bleibe.

Es gibt Kaffee und Brötchen und eine Reihe anzusprechender Themen, die die Gewerkschafter vorgegeben haben. Andere Besucher sind ohnehin nicht anwesend. Für echte Publikumsbeteiligung habe es an Kapazitäten gefehlt, sagt Paschke. „Kein Heimspiel“ erwartet sich denn auch ein FDP-Politiker.

Die Besucherstruktur führt auch zu einem für eine Dating-Veranstaltung eher hoch angesetzten Altersdurchschnitt – die wenigen Unter-30-Jährigen, die sich am Samstagmorgen vereinzelt durch die Flure vor dem Veranstaltungsraum schleppen, sind mutmaßlich Studierende: Ausgetragen wird das Speed-Dating in der halb vollen Aula im Musiktrakt der Oldenburger Uni, einem schmucklosen Bau aus den 1970er Jahren – einer Zeit, die nicht wenige Gewerkschafter als die „gute alte“ ansehen dürften.

Zwei Minuten also. Die Politikvertreter kommen mit diesem Format mal mehr, mal weniger gut zurecht. Streckenweise erinnert das dann doch an klassische Dating-Events: Da gibt es Übernervöse und Rampensäue, Charmebolzen und eher verschüchterte Bürotypen, Schnellredner und Schwafler. Wie beim „richtigen“ Dating kommt Schlagfertigkeit gut an, Witz auch, Besserwisserei eher nicht.

Andererseits erinnert’s zuweilen an eine Variante des „heißen Stuhls“, nur eben ohne Stühle: Die sechs „Kandidaten“ müssen sich drei Stehtischchen teilen, wodurch sich dann doch wiederum hübsche Pärchen zusammenfinden: Da sind die in alter Hassliebe verbundenen Sozialdemokraten und Linken, am zweiten Tisch die knospende Paarung CDU und Grüne und am dritten FDP und Piraten, die sich zwar nicht viel zu sagen haben, die aber ein gemeinsames Schicksal eint: rapide fallende Umfragewerte.

Und die Inhalte? Wie soll man, um mit dem CDU-Politiker Jörn Felbier zu sprechen, „in zwei Minuten die Welt erklären“? Besonders Tiefgründiges war nicht zu erwarten, zumal zu den vorgegebenen Fragen weitere, vor der Veranstaltung gesammelte hinzukamen. Alle abzuhandeln, schafft niemand – aber es zeigt sich, wer sich zumindest bemüht, den Ball aufzunehmen und wer sich lieber aufs Rezitieren von Programmpunkten oder eben doch Floskeln zurückzieht.

Über vier Runden geht das so, und es tut sich auch erkenntnismäßig wenig, treten die Teilnehmer doch zusehends sicherer auf und besinnen sich auf althergebrachte Datingregeln: Nichts Provokantes sagen, zum Beispiel, schon gar nicht bei so einem Publikum. Und so wirkt es, als wolle selbst die FDP die Löhne anheben und Leiharbeit abschaffen. In der letzten Runde betonen gleich zwei der Angetretenen ihre Gewerkschaftsvergangenheit. Denn darauf kommt es beim Flirten ja nicht zuletzt an: dem Gegenüber zeigen, dass man etwas gemeinsam hat. MAIK NOLTE