Endlich werden immerhin zwei türkische Worte auch Herkunfts-deutschen geläufig: Evet und Hayır – Ja und Nein

Das bleibt von der Woche Der Volksentscheid über den Flughafen Tegel kommt, Beamte der Polizei und Justiz fühlen sich zur AfD hingezogen, ein Fall von Antisemitismus sorgt für Schlagzeilen, und in Berlin wird für das Verfassungsreferendum in der Türkei geworben – aber auch dagegen protestiert

Der Westen fliegt auf Tegel

Flughafen-Volksentscheid

Ein Viertel aller Berliner – und eine Mehrheit – müssten für Tegel stimmen

Der von der FDP unterstützte Volksentscheid über den Flughafen Tegel kommt also wirklich: Die Landeswahlleiterin erklärte am Dienstag, dass 204.263 gültige Unterschriften gesammelt wurden, 30.000 mehr als nötig. Damit wird am 24. September – Tag der Bundestagswahl – über den Appell an den Senat abgestimmt, Tegel nicht zu schließen, selbst wenn der BER noch öffnen sollte. Es geht also nicht um ein Gesetz, sondern nur um einen Wunsch.

Der Senat sollte die Abstimmung trotzdem ernst nehmen: Da der Termin am Tag einer Wahl liegt, darf er nicht davon ausgehen, dass der Entscheid am Quorum scheitert. Ein Viertel aller Berliner – und natürlich eine Mehrheit – müssten für Tegel stimmen. Das ist machbar. Die Koalition muss also für eine Mehrheit gegen Tegel kämpfen.

Auch das ist machbar, wie die Verteilung der Unterschriften zeigt. Die Hälfte wurde in den Westbezirken Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Reinickendorf – das Tegel einschließt – zusammengetragen. Deren Bewohner profitieren von Tegel, weil sie viel schneller dort sind als in Schönefeld. Zudem haben diese Bezirke eine eher bürgerliche Wählerschaft, können sich also unter der FDP noch etwas Sinnvolles vorstellen.

Aus dem von Grünen, Linken und der SPD dominierten Pankow hingegen – das ebenfalls näher an Tegel liegt –, kamen nur 3,4 Prozent aller Unterschriften. Das ist zumindest ein Hinweis, das selbst jene, die von einem nahen Flughafen Vorteile hätten, im September dagegen votieren könnten, weil die Nachteile – Lärm und Gefahr –, für sie überwiegen. Und da die näher an Schönefeld liegenden Bezirke von einem Weiterbetrieb Tegels sowieso nichts haben, ist die Entscheidung des Senats, am Bundestagswahltag abzustimmen, klug, weil sie Tegel-Gegner nicht unbedingt zum Abstimmen mobilisieren muss.

Natürlich kann der Senat den Entscheid trotzdem verlieren, wenn er zum Beispiel zu arrogant und abgehoben im Abstimmungskampf auftritt. Das hat das Beispiel Tempelhofer Feld 2014 gezeigt: Jener Volksentscheid wurde zu einem Votum gegen den ganzen Senat. Und war erfolgreich. Bert Schulz

Das rechte Auge sieht eher wenig

Burak und Behörden

Wie verbreitet sind rechte Ansichten bei Polizei und Justiz wirklich?

Der Mord an Burak Bektaș hat sich am Mittwoch zum 5. Mal gejährt. Noch immer ist der Mörder nicht gefasst, noch immer steht der Vorwurf im Raum, die Polizei ermittele nicht ausreichend in Richtung eines rassistischen Tatmotivs. „Man schaut schon nach rechts, aber nicht in der nötigen Intensität, wie ich meine“, sagte der Anwalt der Burak-Familie Onur Özata dieser Tage im taz-Interview.

Wer sich intensiver mit dem Fall befasst, muss dem Urteil wohl zustimmen. Warum etwa wird ein des Mordes in einem anderen Neuköllner Fall überführter Rechtsradikaler, der um die Ecke von Buraks Haus Schießübungen veranstaltet hat, nicht den Zeugen des Burak-Mordes gegenübergestellt? Eine Antwort auf diese naheliegende Frage bekommt man von der Berliner Staatsanwaltschaft nicht. Stattdessen schwadroniert der Sprecher der Behörde von einer „Kampagne“ der Burak-Anwälte gegen die Polizei.

Nun ist so ein Vorgehen nicht gerade hilfreich, um Zweifel an der Arbeit der Ermittler auszuräumen. Es zeugt auch nicht gerade davon, dass die Behörden, wie allenthalben beteuert wird, vom NSU-Komplex gelernt haben.

Aber wie auch? Offenkundig sind Berliner Beamte ebenso anfällig für rechten Schwachsinn wie der Rest der Bevölkerung. Beispiel gefällig? „Wenn die Blockparteien so weitermachen können wie bisher, dann hat unser Land in 20 Jahren fertig, wir wären wirtschaftlich ruiniert, von einer nicht-deutschen Mehrheit besiedelt und auf dem besten Weg in die islamische Republik.“ Der Satz stammt vom Leitenden Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch. Gefallen ist er bei einem Parteitag der AfD Brandenburg Ende Januar, Reusch hat sich damit als aussichtsreicher Kandidat für den Bundestag „qualifiziert“.

Er ist nicht der Einzige. Eine Richterin am Landgericht in Charlottenburg, Birgit Malsack-Winkemann, geht für die Berliner AfD ins Rennen. Und wenn stimmt, was Reusch dem RBB schon 2013 sagte, sieht’s bei der Polizei nicht besser aus: Er kenne zahlreiche Beamte, die sich zur AfD hingezogen fühlten und „die Faust in der Tasche haben“.

So nett es also ist, dass Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) diese Woche erklärte, auf Reusch ein waches Auge werfen zu wollen, bleiben zwei Fragen: Wie verbreitet sind rechte Ansichten bei Polizei und Justiz wirklich? Und was zum Teufel wird dagegen unternommen? Susanne Memarnia

Die Reflexe funktionieren noch

Antisemitismus an Schule

Die Diskussion danach reichte weit über das beschauliche Friedenau hinaus

Der Kommentar des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, fiel harsch aus: Was da an der Gemeinschaftsschule im Schöneberger Ortsteil Friedenau geschehen sei, sei „Antisemitismus übelster Art“. Was war passiert? Ein 14-Jähriger wurde über Monate gemobbt, weil er Jude ist. Als zwei Mitschüler ihn an der Bushaltestelle würgten, nahmen ihn seine Eltern von der Schule – und gaben der Wochenzeitung The Jewish Chronicle ein Interview über den Vorfall. Zu Wochenbeginn griffen schließlich auch deutschsprachige Medien den Fall auf.

Die Diskussion danach reichte weit über das beschauliche Friedenau hinaus. Grünen-Bundespolitiker Volker Beck warnte vor „salonfähigem“ Antisemitismus in Deutschland. Britische und US-Medien berichteten besorgt.

Es wurde festgehalten, was man wusste: Die Tat war natürlich kein Einzelfall. Die Opferberatungsstelle Reach Out zählte im vergangenen Jahr 31 antisemitische Übergriffe. Das Jüdische Forum für Demokratie wies in Reaktion auf den Friedenauer Fall darauf hin: Antisemitische Übergriffe nähmen leider zu – so sei zumindest der Eindruck, den man aus der Opferberatung gewinne. Und auch, dass muslimische Jugendliche häufiger die Täter sind, ist bekannt.

Es wurde gefragt: Ist die Tat aber womöglich entschuldbar, weil es nur ein paar pubertierende Jugendliche waren, die gerade schwer mit sich selbst zu tun haben und außerdem Papa nachplappern, der zu Hause auf die Rolle Israels im Gaza-Konflikt schimpft? Nein, ist sie nicht. Dass es nicht okay ist, Rassist zu werden, nur weil einen gerade niemand lieb hat und man selbst am allerwenigsten, wusste schließlich auch schon die Band Die Ärzte („Stummer Schrei nach Liebe“).

Bleibt am Ende der Woche also noch eine letzte Frage: Ist es gerecht, dass ein Fall von antisemitischem Mobbing ungleich mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, als wenn – nur mal als Beispiel – eine muslimische Schülerin mit Kopftuch gesagt bekommt, man wolle ihr keine Empfehlung fürs Gymnasium schreiben, weil sie später doch eh bloß Kinder bekommt? Eine Diskriminierungsgeschichte, wie sie Anti-Rassismus-Initiativen zuhauf aus Schulen erzählen können.

Sicher ist dieses unterschiedliche Maß an Aufmerksamkeit nicht gerecht – aber es ist verständlich. Weil jeder Fall von Antisemitismus in Deutschland eben immer noch eine sehr sensible Angelegenheit ist und auch bleiben muss. Auch wenn die Holocaust-Schuldfrage kaum noch jemanden direkt betrifft. Auch wenn Judenfeindlichkeit bei den muslimischen Jugendlichen aus einem ganz anderen Kontext herrührt.

Der Friedenauer Vorfall zeigt: Die Reflexe funktionieren noch. Das ist beruhigend.

Anna Klöpper

Lieber Erdoğan als Steinmeier

Verfassungsreferendum

Dass auch Erdoğan-Gegner in Berlin werben, hat kaum jemanden gestört

Evet oder Hayır, Ja oder Nein: Das Verfassungsreferendum, mit dem der türkische Präsident Er­do­ğan noch mehr Macht erringen will, schlägt auch in Berlin Wellen. Denn die Volljährigen unter den fast 100.000 BerlinerInnen mit türkischem Pass dürfen noch bis Sonntag im hiesigen Konsulat ihre Stimme dafür oder dagegen abgeben. Deshalb wird seit Wochen auch in der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland für und gegen die Änderung der Verfassung der Republik Türkei geworben.

Evet oder Hayır, Ja oder Nein: Bei aller Kritik an Erdoğan, der die Demokratie in der Türkei massiv einschränken und dem Präsidenten erheblich mehr Rechte geben will, kann man als BerlinerIn fast geneigt sein, ihm auch etwas Dankbarkeit zu zollen. Denn durch den hiesigen Wahlkampf um das Referendum sind 56 Jahre nach dem Anwerbeabkommen der BRD mit der Türkei endlich immerhin zwei türkische Worte auch Herkunftsdeutschen geläufig: Evet und Hayır, Ja und Nein.

Das ist nicht ironisch gemeint: Es hat durchaus etwas mit der Haltung der Mehrheitsgesellschaft zu tun, wenn viele Türkeistämmige hier lieber Er­do­ğan als Steinmeier als ihren Präsidenten ansehen. Nach wie vor tut sich die deutsche Politik schwer mit den türkeistämmigen EinwanderInnen: Das zeigt sich etwa, wenn nach dem Attentat eines abgelehnten Asylbewerbers aus Tunesien prompt über die Abschaffung des Doppelpasses diskutiert wird, von dem vor allem junge TürkInnen aus schon lange hier lebenden Familien profitieren.

Es zeigte sich auch in der geradezu entrüsteten Berichterstattung über den Referendumswahlkampf hier – jedenfalls den der Erdoğan-UnterstützerInnen. Dass auch Erdoğan-Gegner hier werben, hat kaum jemanden gestört. Obwohl man das beliebte, wenn auch meist etwas verklausulierter formulierte Argument „Die sollen sich doch endlich mal hier integrieren“ genauso gut den Nein-Werbern entgegenhalten könnte. Das ist genauso falsch, denn Integration hier und Verbundenheit zum Herkunftsland stehen sich nicht im Weg.

Was hinter all dem übersehen wird: Bei aller Brutalität, mit der Erdoğan gegen seine GegnerInnen vorgeht, war der Wahlkampf in Berlin weitgehend friedlich. Es gab Anschläge nationalistischer Gruppen gegen das Büro der Anti-Erdoğan-Partei HDP: Doch beim Wahlkampf auf der Straße, zwischen den türkeistämmigen Berlinerinnen und Berlinern, blieb es bei wenn auch oft hitzigen Diskussionen – ein absolut zulässiges Mittel der politischen Auseinandersetzung. Auch das wäre mal zur Kenntnis zu nehmen.

Alke Wierth