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Shoppen in den Prinzessinnengärten, Einkleiden mit dem Wu-Tang-Clan, Autofahren mit Bill MurraySonntags sollte man nicht unbedingt seine Sonntagsklamotten anziehen

Ausgehen und Rumstehen

von Andreas Hartmann

Der angenehmste Flohmarkt in Berlin ist der in den Prinzessinnengärten in Kreuzberg. Nach der Winterpause ging er dieses Wochenende endlich in die neue Saison. Zwischen Blumenbeeten, Saatgut und Säcken mit frischer Erde stellt hier in diesem innerstädtischen Naherholungsgebiet jeder sein Flohmarkttischchen hin, wo es ihm gefällt, mit dem Ergebnis, dass man leicht auch mal die Orientierung verlieren kann. Ist man an diesen komischen Sträuchern nicht gerade erst vorbeigestapft? Aber das macht ja nichts, so wird der Flohmarktbesuch regelrecht zum Wochenendausflug. Das Wetter ist schön, da streift man gerne durch die Anlage, die einem vorkommt wie ein verwunschener Park, und kauft Zeug, das man nie brauchen wird und am besten gleich danach wieder wegschmeißt.

Die Berliner scheinen die Flohmarktsaison ganz schön herbeigesehnt zu haben. Die Prinzessinnengärten sind schon früh ziemlich überfüllt und auch der Flohmarkt am RAW-Gelände, der im Winter nicht mehr ist als eine Ansammlung von drei traurigen Ständen, die niemand ernsthaft aufsucht, erwacht wieder zum Leben. Ich kaufe ein Wu-Tang-Clan-T-Shirt, das mir zu groß ist und das ich bestimmt nie anziehen werde. Aber, hey: ein Wu-Tang-Clan-T-Shirt! Nur der Markt auf dem Mauerpark wirkt leicht derangiert nach den kalten Monaten. Wie ausgebombt erscheint das Gelände, überall Matsch, Steine und Dreck. Mit seinen Sonntagsklamotten sollte man sonntags hier gerade nicht unbedingt auftauchen.

Voll bis überfüllt war es aber nicht nur auf den Flohmärkten am Wochenende, sondern auch beim Konzert von Mulatu Astatke im Gretchen am Sonntag. Ein Jazzer aus Äthiopien kommt nach Berlin in einen mittelgroßen Szeneclub, und alle rennen hin. Das wäre bis vor ziemlich exakt 12 Jahren undenkbar gewesen. Doch 2005 lief der Film „Broken Flowers“ von Jim Jarmusch in den Kinos und jeder fragte sich, was für ein eigentümliches Jazzgedudel Bill Murray denn da andauernd auf seinen ausgedehnten Autofahrten hört. Und so kam es, dass der von Mulatu Astatke sogenannte Ethio-Jazz wiederentdeckt beziehungsweise überhaupt erst entdeckt wurde und die Musik des inzwischen 73-jährigen Vibrafonisten und Percussionisten ein Publikum auch weit außerhalb der einschlägigen Jazzzirkel finden konnte.

Mulatu Astatke im Gretchen also: ausverkauft. Die Schlange vor dem Laden noch kurz vor Konzertbeginn: riesig. Drinnen dann alles dicht, kaum ein Durchkommen, stickige Luft. Wie in einem richtigen Jazzclub eigentlich, nur anders und viel größer. So weit man das dann ­irgendwo ganz da hinten im ­Publikum beurteilen konnte, hat es dem Meister da vorne aber ganz gut gefallen. Er ließ seine Band ethio-jazzig sanft grooven, die Bläser ihre Soli ­trällern und konnte gar nicht genug bekommen von seinem Auftritt.

Er spielte und spielte, als wollte er beweisen, dass das Leben mit über 70 gerade erst beginnt. Man selbst dachte sich eigentlich immer nur, wie schön es doch wäre, hätte Bill Murray nie äthiopischen Jazz gehört. Denn dann wäre Mulatu Astatke in irgendeiner kleinen Kaschemme vor ein paar Eingeweihten aufgetreten und man hätte locker in der ersten Reihe stehen können. Aber das ist natürlich Quatsch. Hätte Bill Murray nie Mulatu Astatke gehört, wäre der Jazzer spätestens beim Eintritt ins Rentenalter in Rente gegangen, weil sich niemand mehr wirklich für ihn interessiert hätte und er wäre an diesem schönen Sonntag im Frühling wahrscheinlich gar nicht erst nach Berlin gekommen.

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