Fans unter Generalverdacht

Polizeipraxis in der Kritik. Fans und Fanprojekte beschweren sich über zunehmende Kriminalisierung

VON HOLGER PAULER

Der Bieberer Berg in Offenbach. Ein lauer Abend. 11.000 Zuschauer sehen den Zweitligakick Kickers Offenbach gegen den VfL Bochum. Am Ende steht ein müdes Null zu Null. Zumindest auf dem Rasen. Nur die Fans des VfL Bochum fühlten sich als Verlierer: Sie mussten am vergangenen Freitag erfahren, wie ernst es der Staatsmacht im Vorfeld der Fußball WM 2006 mit der Gewaltprävention ist. Ein Bus der Bochumer Ultras wurde vor dem Spiel des VfL bei Kickers Offenbach angehalten und durchsucht. Die Beamten entdeckten nach Angaben des Einsatzleiters neben dem Bus einen Haufen Rauchpulver, der wohl kurz vor der Durchsuchung weggeworfen worden sei. Die Konsequenz: Die Ultras wurden komplett in einen separaten Block gesperrt – getrennt von den restlichen Fans des VfL Bochum.

„Vor dem Spiel hatten wir eine Choreografie angemeldet, die Polizei hatte uns alles erlaubt“, sagt L.V. von den Ultras Bochum. „Irgendwie ging es aber alles zu glatt.“ Auf die Busladung Fans warteten zwei Ordner mit Eintrittskarten für einen separaten Block. Wer von den Ultras ein Karte für den eigentlichen Fanblock hatte, durfte trotzdem nicht dort hinein. Die Gruppe sollte zusammen bleiben. „Es schien, als sei alles bereits geplant gewesen“, so L.V.. Für die Ultras wurde ein eigenes Dixie-Klo aufgestellt, zum Essen oder Trinken mussten sie unter Polizeibegleitung in den Offenbacher Block. Auf die angemeldete Choreografie verzichteten die Ultras lieber.

„Natürlich waren die Jungs aufgrund der Trennung sauer“, sagt Jürgen Scheidle vom Fanprojekt Bochum. Er war ebenfalls beim Spiel anwesend. Als Sozialarbeiter ist Scheidle seit 1992 im Bochumer Fanprojekt tätig. Dort kümmert er sich um so genannte „Hooligans“ und „Ultras“. Zwei Fangruppierungen, die in der Öffentlichkeit keine allzu gute Lobby haben: Schlägereien, Leuchtraketen, bengalische Feuer. Nur ein Klischee? „Die Fans werden unter Generalverdacht gestellt und können sich nicht dagegen wehren. Die Gefahr durch Fußballfans bestimmt die öffentliche Wahrnehmung“, sagt Jürgen Scheidle. „Alles andere wird ausgeblendet.“ Sicher komme es auch zu Ausschreitungen, „aber dies ist nur ein geringer Teil des Fanlebens“. Über positive Dinge wie die gesangliche und choreografische Unterstützung des Vereins oder den Kampf gegen Kommerzialisierung werde kaum gesprochen.

Eine Tatsache, die auch bei einer polizeilichen Übung im niederrheinischen Weeze (siehe unten) zu tragen kam. 15 bis 17-jährige Kids wurden dazu angehalten, sich wie randalierende Fußballfans zu verhalten: Steine flogen, Schläge wurden ausgeteilt – „durchaus authentisch“, sagt Scheidle. „Es war wie ein Abtauchen in die Kinowelt.“ Warum für die Vorführung allerdings ausgerechnet Minderjährige ausgesucht wurden, verstehe er nicht. Irgendwann lief die Sache sogar aus den Rudern: „Die Kiddis mussten reglementiert werden“, so Scheidle. Anwesende Pressevertreter wurden verletzt.

Weniger als polizeiliche Übung, sondern vielmehr als „Dokumentation der eigenen Stärke nach außen“, fasste Jürgen Scheidle das Spektakel von Weeze auf. Die „ausgestorbene Kulissenstadt“ mit ihren vielen „Schauspielern“ habe schon einen heftigen Eindruck hinterlassen. „An der Realität in den Fußballstadion geht die Übung allerdings vorbei“, so Scheidle.

25.000 Euro ließ es sich das Land kosten, um der interessierten Öffentlichkeit das unbekannte Wesen Fußballfan näher zu bringen. „Wir werden Randale durch Fans konsequent unterbinden“, sagt NRW Innenminister Ingo Wolf (FDP). Und das Land tut einiges dafür. Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) beim Landeskriminalamt (LKA) Düsseldorf hat rund 6.200 Hooligans in der Datei „Gewalttäter Sport“ gespeichert. Die Daten sind Grundlage für die Erteilung von Stadionverboten durch den DFB – rund 2.400 Fans sind davon betroffen. Oft genügt die polizeiliche Registrierung persönlicher Daten am Rande eines Fußballspiels. Die Daten werden bis zu fünf Jahre gespeichert. Das LKA erteilt Auskünfte nur nach Anfrage. Wer keine Initiative zur Löschung betreibt, bleibt oft auch länger gespeichert.

Aus Protest gegen das Vorgehen der Offenbacher Ordnungskräfte wollten die Bochumer Ultras übrigens das Spiel zur Halbzeit verlassen. „Es macht nicht viel Spaß sich das Spiel getrennt von den eigenen Fans anzuschauen“, sagt L.V.. Der Weg zum Bus wurde den Ultras mit Hinweis der Polizei, dass man nicht wisse, wo dieser sich befinde, aber verwehrt. Zum Heimspiel am kommenden Montag gegen 1860 München ist eine Protestaktion geplant.