Jessicas Erbe

Senat beschließt Maßnahmen zum Schutz für vernachlässigte Kinder. Akten in Jugendämtern sollen künftig zehn Jahre aufbewahrt werden. Hotline für Kindeswohlgefährdung soll rund um die Uhr geschaltet sein. Vieles wird noch geprüft

von Kaija Kutter

Ende Mai wollte der Senat eigentlich schon Bericht erstatten, welche Konsequenzen er aus dem Tod der siebenjährigen Jessica zieht, nun wurde es Ende September. Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram, Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (beide CDU) und Jugendamtsleiter Uwe Riez stellten gestern ein Maßnahmenpaket zum Schutz des Kindes vor.

Die Aufbewahrungsfrist für Akten beim Jugendamt soll für alle Fälle, in denen eine Kindeswohlgefährdung dokumentiert ist, von fünf auf zehn Jahre verlängert werden. Riez zufolge lag es an dieser Frist, dass das Amt nicht auf Jessicas Mutter aufmerksam wurde, obwohl diese bereits wegen Vernachlässigung ein Kind zur Adoption freigegeben hatte. Die Papierform der Akte wird nun weiter unter dem Namen des Kindes geführt. Geben Jugendamtsmitarbeiter aber den Elternnamen ein, erhalten sie über das Informationssystem „Projuga“ eine „virtuelle Elternakte“, in der alle Kinderakten enthalten sind, in denen der Name vorkommt.

Nur als Modellversuch „Baby im Bezirk“ soll 2006 jeder gemeldete Zuzug und jede Geburt in einem Bezirk mit „Projuga“ abgeglichen werden. Sollte sich herausstellen, so Riez, dass das Jugendamt dadurch „netto“ von mehr Fällen erfährt, könnte dies hamburgweit geschehen.

Mit der Hotline Kinderschutz soll rund um die Uhr eine Telefonnummer beim Kinder- und Jugendnotdienst bereitstehen, die sich „sofort um Hinweise auf Kindeswohlgefährdung kümmert“, wie der Senat verspricht.

Auch die Freien Träger der Jugendhilfe sollen künftig die so genannte „Garantenpflicht“ zum Schutz des Kindeswohls übernehmen. Das sieht das ab 1. Oktober gültige Bundesgesetz „KICK“ zur Weiterentwicklung der Jugendhilfe vor. Über die Umsetzung wird noch mit den Wohlfahrtsverbänden verhandelt.

Die Jugendämter selbst sollen bis zum Jahresende „verbindlichere Arbeitsanweisungen“ und darüber hinaus eine „Geschäftsprozessoptimierung“ erfahren. Zudem soll es auf zwei Jahre befristet zehn neue Stellen geben. Da diese vor einem Jahr um 20 Stellen des Landesbetriebs Erziehung aufgestockt wurden und durch das neue Familieninterventionsteam entlastet würden, sei die Arbeit „gut zu schaffen“, so Riez.

Der Etat der Hilfen zur Erziehung hingegen würde für dieses Jahr wohl nicht ausreichen. Allein in Wandsbek stiegen nach Jessicas Tod die Meldungen um 27 Prozent an. Deshalb, so Riez, seien auch „erheblich“ mehr Hilfen bewilligt worden.

Hamburgs Kitas sollen einen „Handlungsleitfaden zum Erkennen von Kindeswohlgefährdungen“ bekommen. Und alle Kinder, die wegen eines „dringenden sozialen Bedarfs“ den Kita-Gutschein bekommen, werden in „Projuga“ erfasst. Bei jedem dieser Kinder wird kontrolliert, ob sie in die Kita gehen.

Kinderärzten soll durch einen neuen Passus in der Hamburger Berufsordnung für Ärzte erleichtert werden, bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung die Jugendämter zu informieren.

Auch Frauenhäuser, Interventionsstellen, Wohnunterkünfte und Sozialämter sollen künftig in geregelten Verfahren Hinweise über Kindeswohlgefährdung melden.

Immer noch geprüft wird, die Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 verpflichtend zu machen. Hier müsste Hamburg wohl eine Bundesratsinitiative starten. Ebenfalls bis zum Jahresende soll geklärt werden, ob ein Abgleich der neuen Schülerdatei mit der Kindergeldkasse zulässig ist. Die Innenbehörde schließlich prüft, wie sinnvoll die Einrichtung einer Polizeistelle für Kindesmisshandlung ist.

Bereits seit Mai bekannt ist der neue Schulzwang. Dadurch wurden Dinges-Dierig zufolge bereits vier Kinder nachträglich zur Schule angemeldet.