LeserInnenbriefe
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Bleibt in der Opposition!

betr.: „Wer hat Angst vor Rot-Rot-Grün?“, taz vom 28. 3. 17

Ich habe keine Angst davor. Aber ich mache mir Sorgen, weil ich die Rot-Grün-Regierung schon einmal erlebt habe. Ich kann mir kaum vorstellen, wenn diese Parteien zusammen eine Regierung bilden – Rot-Grün oder Rot-Rot-Grün –, dass sie etwas für die soziale Gerechtigkeit unternehmen können. Leider haben sie sich selbst als Partei für soziale Gerechtigkeit disqualifiziert, besonders die SPD. Wenn eine Wirtschaftskrise auftaucht, vergessen sie sofort alles, was mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat. Und um die Krise, die das System entwickelt, loszuwerden, bitten sie uns, die arbeitslosen und sozial schwachen Menschen, zur Kasse. Unsere Gürtel sind schon eng geschnallt. Müssen wir sie noch enger schnallen? Für eine Agenda 2020 oder 2030? Wieder für die Kürzungen der sozialer Leistungen? Es ist für uns besser und günstiger, wenn diese Parteien draußen in der Opposition bleiben und dort für die Interessen der sozial schwachen Menschen kämpfen. Sonst kann das für uns noch teurer werden.

ALI-REZA HASSANPOUR, Berlin

Titelbild Südsudan. Geweint

betr.: „Achol Amman muss sich entscheiden“, taz vom 29. 3. 17

Liebe Tazzler, bevor ich die taz aus dem Briefkasten geholt habe, habe ich den Müll runtergebracht; zurück kam ich mit einer Tüte voller Äpfel, Tomaten und Brot. Alles frisch und genießbar. Jede Woche finde ich brauchbare Lebensmittel mit gerade abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum in der Tonne. Dann sah ich das Titelbild der taz und lese den sehr erschütternden Beitrag über die Situation im Südsudan. Selten habe ich bei der Zeitungslektüre so geweint. Ich bin unverdient in diesem schrecklich reichen Land geboren; ich bin zwar Sozialhilfeempfänger, aber an Hunger habe ich noch nie leiden müssen. Unser Land, also auch wir, mit unseren Steuern, geben Milliarden Euro für Rüstung und ähnlichen Schwachsinn aus, und auf einem anderen Teil dieses Planeten droht Millionen Menschen der Hungertod! Ist unser Reichtum nicht zu großen Teilen das Resultat einer schamlosen, rücksichtslosen Ausbeutung anderer Menschen, die, genauso wie wir, dasselbe Recht auf Leben, Ernährung und Bildung haben? Ich fühle mich so hilflos, ach, es ist einfach so was von zum Kotzen! Wer, insbesondere welcher Politiker oder welcher leitende Mitarbeiter einer internationalen Firma kann sich angesichts dieses furchtbaren Leids und dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit noch vor den Spiegel stellen, ohne vor Scham knallrot zu werden? MATTHIAS BACKES, Berlin

Minderheiten in Myanmar

betr.: „Volk ohne Zuflucht“, taz vom 25. 3. 17

Vielen Dank für den umfassenden Artikel von Verena Hölzl! Er beschreibt erhellend das Verhältnis der Mehrheitsbevölkerung der Bamar zu den Rohingya und zeigt, wie das birmesische Militär seine Verbrechen zu vertuschen versucht. Einziger Lichtblick sind die Vorschläge der von Aung San Suu Kyi, der Lady, im Sommer 2016 eingesetzten Rakhaing-Kommission: Diese würden wenigstens den neugeborenen Rohingya die Möglichkeit einer birmesischen Staatsbürgerschaft eröffnen. Doch welche Hasstiraden buddhistischer Birmesen hagelten daraufhin in den „sozialen Netzen“ auf diese Vorschläge nieder!

Ich möchte anmerken, dass die Bamar sich gerne so verhalten, als ob Myanmar nur ihr Staat wäre und Minderheiten wie die Mon, die Shan, die Kachin, Kayah und Karen sich ihrer Mehrheit zu beugen hätten. Diese Minderheiten bewohnen aber fast 50 Prozent des Staatsgebiets und stellen ein Drittel der Gesamtbevölkerung! Das Militär führte und führt auch heute noch, mit Duldung der Regierung, Krieg gegen widerspenstige Minderheiten, nicht nur gegen die Rohingya. Und auch die Regierung der Lady fährt mit der Ausgrenzungspolitik fort: Die Regierungspartei NDL sieht sich hauptsächlich als Vertreterin der Bamar und verstärkt damit den Zentrifugalismus.

Durch diese ständige Benachteiligung fühlt sich die Minderheiten-Bevölkerung allzu oft nicht als Bürger Myanmars, sondern lediglich als Teil ihrer eigenen Ethnie. Das bedeutet aber, dass die Staatlichkeit Myanmars eher auf dem Papier besteht als real. EBERHARD PFLEIDERER, Bremerhaven

Leipzig war nicht harmlos!

betr.: „Von der Harmlosigkeit einer Revolution“, taz vom 29. 3. 17

Nein: Von einer „Harmlosigkeit einer Revolution“ zu sprechen ist vollkommen falsch. Vielmehr hat die Leipziger „gewaltfreie Revolution“ den Blitz-Impuls zum Zusammenbruch des Sowjet­imperiums und der Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ gegeben. Der Artikel verschweigt die Vorgeschichte, die schon seit 1968 in der Luft lag. Diese Jugend, Menschen, die damals vom Breschnew-Regime unterdrückt und in die Armee geschickt wurden, warfen 30 Jahre später den sogenannten „realen Sozialismus“ in den Papierkorb. Die „Neue Linke“ im Westen war da schon einen Schritt weiter in der Politik gegangen. Die „Ostler“, auch in Polen, suchten die Freiheit im Westen und fanden die staatliche Verrottung mit Umweltverschmutzung und scharfer Kriegspropaganda zum Kotzen. Der Fall der Mauer war die Konsequenz der Erstarrung: Es kam zu den gewaltfreien Aktionen für „Schwerter zu Pflugscharen“. Der Zaun der Grenze zu Österreich wurde durchschnitten, die Besetzung der Botschaft und die Rede von Hans-Dietrich Genscher waren 1989 die Auslöser, nachdem Solidarność fast 10 Jahre vorher die polnische Arbeiterschaft mobilisiert hatte. Die „friedliche Revolution“ schob alle Nischen-Bewohner – sogar Angela Merkel – in den Vordergrund.

JOHANNES SPARK, Hannover und Bremen