Geordneter Rückzug

Russlands Präsident Wladimir Putin beantwortet Bürgerfragen. Verstauben im Kreml will er nicht

MOSKAU taz ■ In einer fast dreistündigen TV-Brücke stand Russlands Präsident Wladimir Putin den Bürgern seines Landes gestern Rede und Antwort. Über eine Million Fragen waren telefonisch, per E-Mail oder als SMS bei den Call-Centern eingegangen. Der elektronische Dialog mit dem Volk hat in Russland bereits eine längere Tradition. Allerdings wurden Fragen und Fragesteller im Vorfeld von den Mitarbeitern des Kremlchefs sorgfältig vorsortiert. Von der Insel Sachalin im Pazifischen Ozean bis in den europäischen Teil waren zwölf Stationen zugeschaltet.

„Ich trete zurück in Reih und Glied“, meinte der Kremlchef auf die wohlmeinende Frage, ob es ihm nicht möglich sei, noch für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Die unter seiner Präsidentschaft erreichte Stabilität würde ein neues Mandat doch rechtfertigen, meinte der Enthusiast. Er schlug vor, dies durch ein Referendum klären zu lassen. Die russische Verfassung sieht nur zwei Amtsperioden vor.

Seit längerer Zeit wird in der Öffentlichkeit spekuliert, ob Putin noch einmal antritt und einen legalen Weg zur Machtverlängerung findet. Der Präsident lehnte unterdessen eine Änderung der Verfassung ab. „Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, ewig im Kreml zu sitzen“, sagte ein lächelnder Putin. Ihm sei auch nicht daran gelegen, dass im ersten, zweiten und dritten TV-Kanal immer die gleiche Person gezeigt werde und der Geheimdienstchef anordne: stellt die ersten drei Kanäle ein, meinte der Kremlchef in einem leisen Anflug von Ironie.

Danach verließ den Präsidenten der Wortwitz. Detailliert ging er auf Fragen zu Wirtschaft, Sozialpolitik, Rüstung und Armee ein. Auch die hohen Benzinpreise wurden nicht ausgespart. Der Fragenkatalog war so gewählt, dass sich der Kremlchef als Stabilisator und weitsichtiger Sozialpolitiker profilieren konnte.

Anfang September hatte der Kreml ein Vier-Milliarden-Dollar-Sozialpaket mit Beginn 2006 in Aussicht gestellt. In Russland wurde dies als Auftakt zu den Präsidentenwahlen 2008 gewertet. „Junge, professionelle und effektive Lenker“ möchte Putin als Nachfolger sehen. Dafür wird er sorgen. KLAUS-HELGE DONATH

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